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Nachrichtenarchiv
der Internationalen Otto Gross Gesellschaft e.V.


14.-16. Oktober 2011:
Internationaler Hans und Otto Gross Kongress, Graz, Austria

10. Oktober 2010:
Kongressband "Psychoanalyse und Expressionismus" in "Glanz & Elend" rezensiert

20. September 2010:
Franziska Gräfin zu Reventlow - eine Lübecker Ausstellung 2010

30. März 2010:
Neuerscheinung: Psychoanalyse & Expressionismus / Kongressband vom 7. Internationalen Otto Gross Kongress in Dresden liegt vor

26. Januar 2009:
Harald Szeemann im Kunstmuseum von Mendrisio

5. Januar 2009:
The Laws of the Father - Freud / GROSS / Kafka. Ausstellung und Vortragsreihe im Freud-Museum, London

18. November 2008:
Wer fragt schon nach Kuhle Wampe? Die Internationale Otto Gross Gesellschaft als Bilderrahmen eines Romans

3. November 2008:
Neuerscheinung: Ehre, Ansehen, Frauenrechte - Max Weber als Prozessjurist. Eine Untersuchung von Albrecht Götz von Olenhusen (Freiburg i.Br.)

9. September 2008:
Psychoanalyse und Expressionismus - Spurensuche in Dresden: Internationaler Otto Gross Kongress vom 3. - 5. Oktober 2008 in der Elbmetropole

17. Februar 2008:
Hans Gross und seine Erben

5. Februar 2008:
Otto Gross als Mitspieler in einer Krimiserie

15. Januar 2008:
Neuerscheinung: ... da liegt der riesige Schatten Freud’s nicht mehr auf meinem Weg. Die Rebellion des Otto Gross / Kongressband vom 6. Internationalen Otto Gross Kongress in Wien liegt vor



Psychoanalysis & Criminology
Libido & Power

Internationaler Hans und Otto Gross Kongress,
Graz, Austria 2011

Bei der dreitägigen Veranstaltung in Graz werden sich Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern Europas und aus den USA mit dem Leben, dem wissenschaftlichen Werk und der Wirkung und Nachwirkung von Prof. Dr. Hans Gross (1847-1915) und seines Sohnes Dr. Otto Gross (1877-1920) auseinandersetzen. Der Strafrechtler und Begründer der Kriminalistik in Graz Hans Gross und sein Sohn, der Psychoanalytiker und Anarchist Otto Gross, sind durch ihre wissenschaftlichen Leistungen, aber auch durch ihren lebenslangen Konflikt – ein symptomatischer Konflikt in der Epoche des Expressionismus – weithin bekannt geworden. Er hat seinen Niederschlag in der Literatur von Kafka bis Werfel, von Erich Muhsam, Franz Jung bis Franziska zu Reventlow, Max Brod oder Johannes R. Becher sowie in den Biographien von Sigmund Freud, C. G. Jung, Sabina Spielrein, Ernest Jones, und Max Weber, von Frieda Weekley und D. H. Lawrence gefunden.

Heute wird Otto Gross als der Iinitiator dessen betyrachtet, was wir heute als intersubjektive Analyse bezeichnen, und war der Erste, der Analyse mit radikaler Politik verband. Das Handbuch für Untersuchungsrichter von Hans Gross wurde weltberuhmt und auch in modernen Kriminalromanen findet sich der „Vater der Kriminologie” wieder. Hans und Otto Gross und ihr Werk sind in den letzten Jahrzehnten immer wieder Gegenstand der unterschiedlichsten Wissenschaften geworden: Kriminologie und Kriminalistik, Psychiatrie und Psychoanalyse, Literaturwissenschaft, Kunst, Ethik, Rechtswissenschaft und Rechtsgeschichte. Der Gross’sche Vater-Sohn-Konflikt wurde auch in Dramen und Filmen behandelt.

Seit 1999 wurden die vielfältigen paradigmatischen und konfliktträchtigen Themenbereiche der Protagonisten und ihres Umfelds, jeweils verbunden mit Kongress- und Ausstellungspublikationen (www.literaturwissenschaft.de), auf zehn Tagungen und Symposien (Berlin, Dresden, und München, am Burghölzli in Zürich, Graz, Wien et al.), dargestellt. Diese Reihe wird mit dem Grazer Kongress zu Hans und Otto Gross mit dem Titel: „Psychoanalyse und Kriminologie -- Libido und Macht” vom 14. bis 16. Oktober an der Universität Graz fortgesetzt.

Klicken Sie hier für das Programm [PDF]


Kongressband "Psychoanalyse und Expressionismus" in "Glanz & Elend" rezensiert

von Albrecht Götz v. Olenhusen, Freiburg i.Br.

10. Oktober 2010 (iogg) - Der Kongressbericht des 7. Internationalen Otto Gross Kongresses in Dresden, "Psychoanalyse und Expressionismus", herausgegeben von Werner Felber, Albrecht Götz von Olenhusen, Gottfried Maria Heuer und Bernd Nitzschke (Marburg: Literaturwissenschaft.de 2010, 568 S., 29.90 Euro) wurde in der Zeitschrift "Glanz & Elend" durch Franz Siepe ausführlich rezensiert. Die Zeitschrift ist ein Magazin für Literatur und Zeitkritik. Die Besprechung geht auf die einzelnen Vorträge sachkundig ein. Verwiesen wird dabei auch auf die Forschungen zum Thema Otto Gross und Expressionismus von Thomas Anz und auf den Band "Der Fall Otto Gross" von Christina Jung und Thomas Anz (Marburg: LiteraturWissenschaft.de 2002).

Weitere Informationen: www.glanzundelend.de/artikel/otto_gross.htm


Franziska Gräfin zu Reventlow - eine Lübecker Ausstellung 2010

von Albrecht Götz v. Olenhusen, Freiburg i.Br.

20. September 2010 (iogg) - In der Zeit vom 12. September 2010 bis 21. November 2010 wird im Buddenbrookhaus, Heinrich-und Thomas-Mann-Zentrum, Lübeck, die Ausstellung 'Alles möchte ich immer'. Franziska Gräfin zu Revenlow 1871-1918“ gezeigt.

Der Band mit dem gleichen Titel, von Kornelia Küchmeister, Dörte Nicolaisen und Ulrike Wolff-Thomsen mit einem Beitrag von Ulla Egringhoff, Göttingen: Wallstein 2010 bringt biografische Beiträge zu Kindheit und Jugend, der Lübecker Zeit der Familie, über das Künstlernetzwerk Münchens, die "polnischen Münchener", sowie zu Reventlows ambivalentem Verhältnis zur Autorschaft.

Die exzellent konzipierte Ausstellung zeigt die vier großen Stationen: Husum, Lübeck, München und Ascona. Der wunderschöne Begleitband druckt die meisten der Exponate als Abbildungen.

Der Band beeindruckt auch neben den fundierten Artikeln vor allem auch durch die hohe Zahl bislang wenig oder nicht bekannter Dokumente und Bilder. Im Zusammenhang mit dem Roman "Herrn Dames Aufzeichnungen" und unter der Rubrik "Freunde" wird näher auf Erich Mühsam und den durch ihn vermittelten Otto Gross Bezug genommen. Die Beziehung zwischen Reventlow und Otto Gross wird nur relativ knapp gestreift (S. 214f.), auch die Freundschaft zu Frieda Gross und Ernst Frick, der Konflikt Ottos und Friedas mit Hans Gross kurz erwähnt, Marianne und Max Weber, für die sie einige Bedeutung hatte und vice versa, werden nicht thematisiert. Die Beziehung der Reventlow zu den "Wahrheitssuchern" des Monte Veritá wird als eher skeptisch charakterisiert.

Diese Notiz soll die Leser der Internetseite der Internationalen Otto Gross-Gesellschaft auf diese hier nicht auszuschöpfende und daher auch nicht im Detail zu besprechende, sehr wichtige Ausstellung und Publikation hinweisen. Die Publikation enthält z.B. auch bemerkenswerte Ausführungen zu den frühen, auf Bachofen basierenden Matriarchatsvorstellungen der Münchener Kosmiker (S. 198ff.).

Die Ausstellung wird auch noch in Kiel, Husum, Berlin und München gezeigt werden.

Neuerscheinung: Psychoanalyse & Expressionismus / Kongressband vom 7. Internationalen Otto Gross Kongress in Dresden liegt vor

Der Sammelband präsentiert die Vorträge des 7. Internationalen Otto Gross Kongresses vom 3. bis 5. Oktober 2008 in Dresden. Der Kongress wurde von der Internationalen Otto Gross Gesellschaft (Hannover/London) zusammen mit der Sächsischen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Nervenheilkunde e.V. veranstaltet.

In Dresden liegen mit dem Wirken der Künstlervereinigung "Brücke" nicht nur die Anfänge des Expressionismus, die Elbmetropole kann auch als eines der Zentren des späten Expressionismus gelten. Die Aufbruchstimmung am Ende des Ersten Weltkrieges umfasste alle Kunstschaffenden. Die Ordnung und Ideale der Väter hatten versagt. Die Suche nach einer neuen Sozietät mit einer tragfähigen Basis stand auf der Tagesordnung. Leben und Vorstellungen des österreichischen Arztes, Psychoanalytikers und Revolutionärs Otto Gross (1877-1920) waren Vorbilder für Dresdener Intellektuelle wie z.B. die Dichterin Bess Brenck Kalischer oder für Heinrich Goesch. Dessen Bruder Paul Goesch hatte in Dresden-Laubegast 1908 "das vielleicht schönste murale Dokument ... an der Grenze zum beginnenden Expressionismus" (Fritz Löffler) geschaffen. Die provozierenden Ideen von Otto Gross halfen den Emanzipationsbestrebungen der jungen Generation auf der Suche nach einer neuen Identität. Der interdisziplinäre Kongress suchte nach Spuren dieser Entwicklungen, die weit in das 20. Jahrhundert hinein die moderne Kultur mit prägten und zum Teil vergessen wurden. Zahlreiche Referentinnen und Referenten aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Großbritannien,  den Niederlanden, den USA und Ungarn widmeten sich in Vorträgen Einzelfragen  der Geschichte und Gegenwart von Psychoanalyse, Kunst, Literatur, Medizin und anderen Wissenschaften sowie der Biografie von Otto Gross und seinem Verhältnis zur Kunst.

Der Band enthält auch einige Beiträge, die nicht auf dem Kongress präsentiert werden konnten, einen Kongressbericht, Berichte über andere Veranstaltungen und Publikationen im Kontext der Arbeit der IOGG, Buchhinweise und Buchbesprechungen.


Frontpage: Die Rebellion des Otto Gross


Psychoanalyse & Expressionismus.
7. Internationaler Otto Gross Kongress.
Dresden, 3. bis 5. Oktober 2008.
von Werner Felber / Albrecht Götz von Olenhusen / Gottfried Maria Heuer / Bernd Nitzschke (Hrsg.)

Verlag LiteraturWissenschaft.de (TransMIT)
Marburg an der Lahn 2010
588 Seiten
ISBN 978-3-936134-23-0
Preis: EUR 29,90 


Ungarische Otto Gross Gesellschaft gegründet

25. Februar 2007 - Im Rahmen einer ersten Versammlung ist am 24. Februar 2007 in Budapest die ungarische Zweiggesellschaft der Internationalen Otto Gross Gesellschaft Leben gerufen worden. Die zwanzig Gründungsmitglieder, unter denen sich Journalisten, Juristen, Neurobiologen, Psychoanalytiker, Psychologen, Schriftsteller, Soziologen und Universitätslehrer finden, haben es sich zum Ziel gesetzt, Otto Gross' Schriften und Theorien, bzw. die im Ausland zu Gross publizierte Literatur in Ungarn einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Gleichzeitig ist es geplant, in Zusammenarbeit mit der Internationalen Otto Gross Gesellschaft und den anderen zwei psychoanalytischen Vereinigungen Ungarns, die Forschungsergebnisse an Konferenzen und Tagungen zu präsentieren sowie Ausgaben zu veröffentlichen.

Der Vorstand der Gesellschaft besteht aus: Dr. phil. Péter György Hárs (Kunst- und Literaturwissenschaftler, PhD in Psychologie, Vorsitzender), Dr. phil. Zoltán Szabó (Wirtschaftswissenschaftler, PhD in Psychologie, Universitätsdozent, Stellvertretender Vorsitzender), Melinda Friedrich (PhD-Studentin, Sekretärin). Die Gesellschaft ist offen für alle Personen, die sich für die Geschichte der Psychoanalyse, Sozialforschung, Literatur und Kunst interessieren.

Wie der Vorsitzende, Dr. phil. György Péter Hárs, mitteilt, ist der Vorstand der Gesellschaft hoch erfreut, mit Prof. Dr. Ferenc Erös, einen der Gründer der Zeitschrift "Thalassa", der Sándor Ferenczi Vereinigung und Leiter des Doktorandenprogramms "Theoretische Psychoanalyse" der Universität Pécs, unter den Mitgliedern begrüßen zu dürfen. Zwei Mitglieder der Gesellschaft befassen sich als Ph.D.-Studentinnen in ihrer Dissertation mit Otto Gross: Tímea Szabó (USA) und Melinda Friedrich (H). Im Namen der Vereinigung bedankt sich Dr. Hárs bei den Mitgliedern der Internationalen Otto Gross Gesellschaft für jede Hilfe und Unterstützung.

Weitere Informationen: Dr. phil. Péter György Hárs, E-Mail: harsgyp@gmail.com


Kongressbericht: "... da liegt der riesige Schatten Freud's jetzt nicht mehr auf meinem Weg". Die Rebellion des Otto Gross. 6. Internationaler Otto Gross Kongress, Wien, 8. - 10. September 2006

Von Melinda Friedrich

"... da liegt der riesige Schatten Freud's jetzt nicht mehr auf meinem Weg" - Die Rebellion des Otto Gross - lautete das Motto des 6. Internationalen Otto Gross Kongresses, der - organisiert von der Internationalen Otto Gross Gesellschaft e.V. in Kooperation mit dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Suchtforschung und der Universität Wien - vom 8. bis 10. September 2006 in Wien stattfand. Wien ist nicht nur die Geburtsstadt der Psychoanalyse, gegen deren Begründer Sigmund Freud sich Otto Gross, zunächst ein überaus eifriger Anhänger, auflehnte. Wien führte Sophie Templer-Kuh, die Tochter von Otto Gross und Marianne Kuh, zu ihrem Vater: hier entdeckte sie 1982 durch einen Zufall ihre Vergangenheit. Am 8. September 2006 war sie wieder in der Stadt, in der sie geboren wurde und aufwuchs. Aber diesmal ist sie nicht mehr alleine, sondern umgeben von Leuten, die das Interesse für Otto Gross verbindet und nun bereits zum sechsten Male zu einem Kongress zusammengeführt hat.

Am Freitagabend strahlte aus vielen Gesichtern die Freude des Wiedersehens, aber auch die neuen Freunde der Internationalen Otto Gross Gesellschaft konnten ein Gefühl der Zusammengehörigkeit empfinden. Bei der Eröffnungsveranstaltung wurden die TeilnehmerInnen zuerst von Dr. Hubert Christian Ehalt, Referent der Stadt, Mag. Dr. Thomas Hübel, Leiter des Instituts für Wissenschaft und Kunst und Prof. Alfred Springer, Ludwig-Boltzmann-Institut für Suchtforschung, herzlich willkommen geheißen, dann hielt Dr. Gottfried Heuer, der Vorsitzende der Internationalen Otto Gross Gesellschaft, London, seine Eröffnungsrede, und schließlich erzählte Sophie Templer-Kuh, Ehrenvorsitzende der Gesellschaft, von ihrem wechselvollen Leben und der schrecklichen Zeit der Verfolgung und Emigration, was alle Anwesenden bewegte und tief berührte. Prof. Dr. Rolf Schwendter sprach in seinem Festvortrag über Gross’ Kontakte, Netzwerke, Freundschaften und Aversionen zu zeitgenössischen Subkulturen. Der Abend endete mit einer dramatischen Lesung "Otto Gross Mezz", vorgetragen durch das Erste Wiener Lesetheater, unter der Mitwirkung von Christel Bender, Konrad Rennert, Sybille Schesswendter, Dieter Schrage, Christian Schreimüller, geleitet von Rolf Schwendter.

Am 6. Internationalen Otto Gross Kongress berichteten insgesamt 32 namhafte Vortragende aus sieben Ländern der Welt über ihre Forschungen zu Gross, wobei die Schwerpunktthemen in sechs Paneels behandelt und diskutiert wurden.

Die Vorträge am Samstagmorgen entwickelten die Wurzeln von Otto Gross. Prof. Dr. Alfred Springer, Wien, konzentrierte sich in seinem Vortrag auf das wissenschaftliche Frühwerk, das in der Gross-Rezeption bisher weitgehend ausgespart worden ist, und hob auch die Aktualität von Gross’ Beiträgen zur frühen Entwicklung der Theorie der Psychoanalyse hervor. Dr. Lois Madison, Hamilton, New York,  erläuterte in ihrem Vortrag die wissenschaftlichen Wurzeln von Otto Gross, Dr. Helmut Gröger aus Wien zeichnete ein Bild der Psychiatrie in Wien um 1900. Den Vormittag beschloss der Vortrag von Dr. Matthias Bormuth aus Tübingen, der den Titel "Grenzen der Sublimierung. Max Webers 'Zwischenbetrachtung' und Otto Gross' Kulturtheorie” trug.

In der Mittagspause wurde der Kongress durch eine Lesung von Bärbel Reetz im Café Prückl bereichert: die bekannte Autorin las aus ihrem jüngst erschienenen Werk "Die russische Patientin" (Frankfurt 2006), das sich mit dem unruhigen und leidenschaftlichen Leben von Sabina Spielrein, einer ungewöhnlichen Frau zwischen Jung und Freud, beschäftigt.

Am Samstagnachmittag wurden Vorträge an zwei verschiedenen Orten parallel angeboten. Im Institut für Wissenschaft und Kunst standen Gross’ Beziehungen zu verschiedenen Psychoanalytikern, Wissenschaftlern, Anarchisten und Frauen im Mittelpunkt. Über das Arbeitsbündnis zwischen Gross und Stekel referierte Josef Dvorak aus Wien. Dr. Gottfried Heuer widmete seinen Vortrag "Brudermord auf der Couch” der persönlichen und beruflichen Beziehung von Jung und Gross. Prof. Dr. Bozena Choluj, Warschau u. Frankfurt/Oder, sprach über den Widerspruch zwischen Gross´ Ideen und dem Denkkollektiv seiner Zeit, dem Otto Gross ihrer Auffassung nach zum Opfer fiel. Dr. Albrecht Götz v. Olenhusen, Freiburg, behandelte in seinem Vortrag Max Webers Haltung zum Anarchismus. Prof. Dr. Erdmute Wenzel White, West Lafayette, Indiana, versuchte, die Briefe von Otto Gross aus der Perspektive der Adressatinnen zu erschließen. Claudia Böhnke, Bonn trug schließlich über Hans Walter Gruhle ("Das wissenschaftliche Gewissen der Psychiatrie") vor.

Im Leseraum des Instituts für Geschichte der Medizin kreisten die Vorträge um das Thema Trauma, Schmerz und Sucht des Otto Gross. Hier sprachen Dr. Jann E. Schlimme, M.A., Hannover, über „Fragilität und Stabilität - zur Anthropologie der Sucht”, Univ.-Prof. Dr. Marianne Springer-Kremser, Wien, über "Die Katastrophen der Kindheit und ihre Auswirkungen im Leben der Erwachsenen”, Am Ende setzten sich Raimund Dehmlow und Dr. Torsten Passie M.A., Hannover, in ihrem Vortrag "Die 'eiserne Klammer um Kopf und Herz' - Trauma und Sucht des Otto Gross” mit der Psychopathologie von Otto Gross und den daraus resultierenden diagnostischen Implikationen auseinander.

Ein besonderes Erlebnis bedeutete die zweistündige literarische Wanderung mit Dr. Karl Bruckschwaiger. Es wurden Orte aufgesucht, die an Sigmund Freud - wie die Krankenhäuser, wo er arbeitete oder die Geschäfte, wo er seine Antiken zu kaufen pflegte - und an Otto Gross - die Kaffeehäuser des literarischen Wien, wie die Cafés Central und das Herrenhof - erinnerten. Der ganze Erste Bezirk wurde durchquert, und die TeilnehmerInnen landeten schließlich im Café Prückl, wo ein gemütlicher Abend mit Sophie Templer-Kuh sie erwartete. Das Gespräch mit Sophie, die als Kind und junge Frau zu den Kreisen der Wiener Bohème gehörte und nun ihre Erinnerungen mit den Anwesenden teilte, wurde von Dr. Manfred Müller moderiert.

Am Sonntagmorgen, einem schönen sonnigen Herbsttag, trafen sich die Kongress- TeilnehmerInnen wieder im Hörsaal des Instituts für Geschichte der Medizin, um Vorträge zum Schwerpunkt Emanzipation anzuhören. Prof. Dr. Michael Rohrwasser, Wien, ging in seinem Vortrag "Sigmund Freud, Hans Groß und Otto Groß. Neue Blicke durch alte Löcher“ der Frage nach, warum Freud eine größere Nähe zu Hans Gross hatte als zu seinem Schüler Otto Gross. Der Vortrag "Eros und Emanzipation” von Markus Brunner, Hannover, erörterte, wie sich die psychoanalytischen Erkenntnisse für eine emanzipatorische Praxis nutzbar machen liessen. Prof. Dr. Diethart Kerbs, Berlin, rekonstruierte in seinem Vortrag „Von der bürgerlichen Jugendbewegung zum Linkskommunismus” die Lebensgeschichte des Simon Guttmann, der in Künstlerkreisen bekannt und unter anderen mit Franz Jung und Walter Benjamin befreundet war. Im Zentrum des Beitrages von Dr. Dieter Schrage, Wien, stand Pierre Ramus und die Neuschöpfung der Gesellschaft. Abgeschlossen wurde der Vormittag durch den Vortrag "Frauenbewegungen im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Traditionslinien, Differenzen und Transformationen”, gehalten von Prof. Dr. Ingrid Miethe aus Darmstadt.

In der Mittagspause lud Teresa Ruiz Rosas zu einer Autorinnenlesung "Das Porträt hat Dich geblendet" / "Die Nachwelt" ein, während die Mitgliederversammlung der Internationalen Otto Gross Gesellschaft stattfand, wo Dr. Emanuel Hurwitz, Gross' erster Biograph und Begründer der Gross-Forschung, zum Ehrenvorsitzenden der Internationalen Otto Gross Gesellschaft gewählt wurde.

Am Nachmittag wurden im Institut für Wissenschaft und Kunst Vorträge zum Thema Caféhaus präsentiert. Dr. Gerhard Dienes, Graz, gab in seinem Vortrag "Brutstätten revolutionärer Ideen" einen Überblick über Politik im/und Kaffeehaus. Prof. Dr. Hans Hautmann, Linz, brachte in seinem Vortrag "Franz Werfel, 'Barbara oder die Frömmigkeit' und die Revolution in Wien 1918” das Phänomen der Anfälligkeit von Intellektuellen, Künstlern, Bohemiens für ultraradikales Auftreten in Zeiten revolutionärer Umwälzungen zur Sprache. Prof. Rotraut Hackermüller, Wien, erläuterte in ihrem Beitrag die "Realität des Hungers am Beispiel Otfried Krzyzanowski mit einem Exkurs zu Franz Kafka”. Um die Einsamkeit des Anton Kuh handelte es sich im spannenden Vortrag von Prof. Ulrich N. Schulenburg, Wien. Zum Schluss machte Dr. Alfred Strasser, Lille, mit dem Leben eines Mäzens von Literaten, des ungarischen Lajos Hatvany, bekannt.

Um Otto Gross’ Beziehung zu Frauen ging es im letzten Paneel des Tages. Dr. Gottfried Heuer, London, stellte seine Forschungsergebnisse und viele unbekannte Dokumente zur Lebensgeschichte von Marianne "Mizzi" Kuh, der - von Gross sogenannten - "Verlobten" Otto Gross' und Mutter der gemeinsamen Tochter Sophie, die zusammen mit ihrem Sohn, ihrer Nichte und Großnichte anwesend war. Anschließend erzählte Prof. Dr. Eberhard Demm, Lyon u. Koszalin, ebenfalls von einer Frau: "Else Jaffé-Richthofen zwischen Edgar Jaffé, Otto Gross und den Brüdern Alfred und Max Weber” lautete der Titel seines Vortrages. Hermann Müller, Freudenstein, gab Sophie Benz eine Stimme und ging den Umständen ihres Todes nach. Dem Leben Regina Ullmanns und ihrer Beziehung zu Otto Gross widmete Kristina Kargl aus Kirchseeon ihren Vortrag. Der letzte Vortrag des Tages, gehalten von Shinji Hayashizaki, Osaka, befasste sich mit der tschechischen Journalistin Milena Jesenská, ihrem Ehemann, dem jüdischen Bankbeamten Ernst Polak, Stammgast in der Prager und Wiener Caféhaus-Szene und "Literat ohne Werk”, und Otto Gross.

Sämtliche Vorträge des 6. Internationalen Otto Gross Kongresses werden in einem Sammelband dokumentiert und wie gewohnt als Kongressband im Verlag LiteraturWissenschaft.de, Marburg, publiziert werden. Auf der Mitgliederversammlung der Internationalen Otto Gross Gesellschaft wurde beschlossen, den 7. Internationalen Otto Gross Kongress im Jahr 2008 durchzuführen. Inzwischen wurde Dresden als Kongressort bestimmt. Informationen dazu werden laufend auf der Webseite der Gesellschaft veröffentlicht oder sind direkt von Raimund Dehmlow (E-Mail: rdehmlow@onlinehome.de) erhältlich.


Emanuel Hurwitz zum Ehrenvorsitzenden der Internationalen Otto Gross Gesellschaft gewählt

12. September 2006 - Dr. med. Emanuel Hurwitz, Psychoanalytiker in Zürich, ist auf Vorschlag des Vorstands von der Mitgliederversammlung der Internationalen Otto Gross Gesellschaft am 10. September 2006 in Wien einstimmig zum Ehrenvorsitzenden der Internationalen Otto Gross Gesellschaft gewählt worden.

Emanuel Hurwitz gehört zu den wichtigsten Begründern der Erforschung von Leben und Werk von Otto Gross. Sein 1979 erschienenes Buch über den "Paradies-Sucher zwischen Freund und Jung" ist nach wie vor die unübertroffene Biographie von Otto Gross. Sie hat zugleich den zentralen Konflikt der Epoche seit der Jahrhundertwende und des Expressionismus, den Vater-Sohn-Konflikt insbesondere aus psychoanalytischer Sicht thematisiert. Der Zürcher Arzt hat für die vielseitige Erforschung der zahlreichen Aspekte der Thematiken, auch der Biographie des Vaters Prof. Hans Gross, Graz, sowie zahlreicher anderer Themen, denen sich die heutige interdisziplinäre Wissenschaft insbesondere auch auf den Kongressen und Konferenzen der Internationalen Otto Gross Gesellschaft widmet, wesentliche Beiträge geleistet.

Er hat die Gesellschaft seit ihrer offiziellen, von ihm mit initiierten Gründung 1999 in Berlin als stellvertretender Vorsitzender, durch zentrale wissenschaftliche Beiträge und durch reiche, unschätzbare Materialien, die sich heute im Otto Gross-Archiv der Gesellschaft in London sich, in hervorragender Weise kontinuierlich gefördert und unterstützt, zwei ihrer Kongresse in Zürich (zusammen mit Lydia Trüb-Hurwitz) maßgeblich mit organisiert und zum Fortbestand der Gesellschaft, ihren Aufgaben und Zielsetzungen entscheidende Grundlagen und Initiativen beigesteuert.

Seit dem Erscheinen seiner Biographie, dem wiederum Aufsehen erregende und bedeutende Funde zur Biographie und Krankengeschichte von Otto Gross insbesondere auch im Kontext der Geschichte der frühen Psychoanalyse, zu Sigmund Freud und C. G. Jung, zugrunde lagen, hat er Grundlagen und Fortgang der Wissenschaft auf diesem Gebiet maßgeblich bestimmt und weitergeführt.

In ausgezeichneter Weise hat er nicht nur die Arbeit der Gesellschaft durch Vorträge, Artikel, durch Stiftungen und Förderung anderer Forschungen unterstützt, sondern durch sein tiefgründiges Wissen, seine exzellente Intuition und seine besondere Fähigkeit, zentrale Fragestellungen fundiert und wissenschaftlich überzeugend zu bearbeiten, immens bereichert.

Die Internationale Otto Gross Gesellschaft ehrt mit der Wahl zum Ehrenvorsitzenden - eine Berufung, die vor Emanuel Hurwitz bereits für Sophie Templer-Kuh, die Tochter von Otto Gross, ausgesprochen worden ist - den langjährigen guten Freund und Begleiter, den großen Forscher und Wissenschaftler und die humane Persönlichkeit.


Von Utopie und Eros: Kongressbericht des 5. Internationalen Otto Gross Kongresses erschienen
Im Vorfeld des in Wien stattfindenden sechsten Kongresses der Internationalen Otto Gross Gesellschaft ist der von Gottfried Heuer herausgegebene Bericht des Züricher Kongresses der Gesellschaft im Marburger Verlag LiteraturWissenschaft.de erschienen. Die Veröffentlichung präsentiert sämtliche Vorträge der Tagung, die im September 2005 im cabaret voltaire stattfand. Neben den Referaten und Beiträgen von Richard Butz, Esther Bertschinger-Joos, Gerhard Dienes, Albrecht Götz von Olenhusen, Gottfried Heuer, Christine Kanz, Andreas Kilcher, Gernot Kocher, Raimund Meyer, Jennifer Michaels, Hermann Müller, Petteri Pietikäinen, Werner Portmann, Juri Steiner, Sophie Templer-Kuh, Erdmute White, Günther Windhager und Stefan Zweifel enthält der Band zwei bisher unveröffentlichte Texte von Otto Gross: einen Brief von Gross aus dem Jahre 1887 an seinen Onkel Alfred Anthony Freiherr von Siegenfeld und ein Textfragment aus seinen letzten Lebensjahren mit dem Titel "Zum Wiederaufbau des wahrheitsgetreuen Menschen".
Weitere Informationen:
Inhaltsverzeichnis; Bestellformular

Titelblatt Utopie und Eros

"... da liegt der riesige Schatten Freud's jetzt nicht mehr auf meinem Weg" - Die Rebellion des Otto Gross / 6. Internationaler Otto Gross Kongress in Wien

PRESSEMITTEILUNG

7. März 2006 - Unter dem Motto "... da liegt der riesige Schatten Freud's jetzt nicht mehr auf meinem Weg" - Die Rebellion des Otto Gross findet vom 8. - 10. September 2006 in Wien der 6. Internationale Otto Gross Kongress statt. Otto Gross (1877-1920), zunächst Privatdozent für Psychopathologie in Graz, war einer der frühen Anhänger Sigmund Freuds, der sich in seinem Lebenswerk dafür einsetzte, die Erkenntnisse der Psychoanalyse zu nutzen, um die patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen zu überwinden. Folgerichtig forderte er in den Revolutionstagen im November 1918 in Wien für sich ein "Ministerium zur Liquidierung der bürgerlichen Familie und Sexualität". Bei der dreitätigen Wiener Tagung werden sich Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern Europas, aus den USA und Japan, mit dem Leben, dem wissenschaftlichen Werk von Otto Gross und dessen Wirkung auseinandersetzen.

"Über die Freudsche Ideogenitätslehre" war der Titel der Antrittsvorlesung von Otto Gross im Wintersemester 1906/1907 als Privatdozent für Psychopathologie der Karl-Franzens-Universität in Graz. Nach der ersten Begegnung mit Sigmund Freud im Jahr 1904 hat sich Gross intensiv mit Freuds Arbeiten beschäftigt, wie das erste umfangreiche Werk von Gross "Das Freud'sche Ideogenitätsmoment und seine Bedeutung im manisch-depressiven Irresein Kraepelins" bezeugt. Bevor er 1908 an der ersten Zusammenkunft der noch jungen Schule der Psychoanalyse in Salzburg teilnimmt, schreibt er: "In nächster Zeit, da ist in Salzburg der erste Congress der Freudschen Schule, da will ich einen Vortrag anmelden ,culturelle Perspectiven' - da will ich mein Programm für mein Leben bringen. - Es ist ein Augenblick, wie er bisher noch ganz ohne Beispiel ist - das wir durch eine practische Methode, durch eine Untersuchungs-Technik auf Einmal in die Wesenheit des geistigen Lebens schauen können - und wer jetzt Augen hat, der sieht in dieser aufgethanen Perspective die Zukunft am Werk".

Den Vortrag von Otto Gross kritisierte Sigmund Freud mit den Worten: "Wir sind Ärzte, und Ärzte müssen wir bleiben." Obwohl er Gross schätzte ("Groß ist ein so wertvoller Mensch und ein so starker Kopf") sind die Differenzen deutlich: In Gross' theoretischem Ansatz, der den Konflikt des Individuums mit der Allgemeinheit als Ausgangspunkt hat, gibt es keine Trennung von Wahrnehmung und reflektierendem Denken. Dies führt ihn unmittelbar dazu, gewonnene Erkenntnisse anders zu verwerten als Freud: Ausgehend von der Prämisse, dass die "Psychologie des Unbewußten [..] die Philosophie der Revolution" ist und daher "berufen, zur Freiheit innerlich fähig zu machen, berufen als die Vorarbeit der Revolution" steht für Gross die Zerstörung der patriarchalischen Gesellschaftsordnung auf der Tagesordnung. Er wird Begründer unkonventioneller Lebensgemeinschaften und begrüßt den ausbrechenden Weltkrieg als Möglichkeit, auf den Trümmern der alten Gesellschaft eine neue, mutterrechtlich strukturierte aufzubauen.

Allerdings kann Gross sein Leben als Beispiel nur unter Zuhilfenahme von Drogen realisieren. Bereits 1911 ist er Patient in der Klinik "Am Steinhof". 1913 wird er in Tulln interniert, später sogar auf Betreiben des Vaters, des Kriminologieprofessor Hans Gross, entmündigt. Trotzdem ist Gross während des Krieges als Militärarzt tätig, u.a. am Blatternspital des Franz-Josephs-Krankenhauses. In den Jahren 1914 -1918 ist er Mittelpunkt der Caféhaus-Szene des "Herrenhof", inspiriert Franz Werfel zur Figur des Doktor Gebhart in "Barbara oder die Frömmigkeit" und lebt in der Familie von Anton Kuh, mit dessen Schwester Margarethe "Mitzi" er eine Tochter hat, die heute in Berlin lebende Sophie Templer-Kuh. Im November 1918 ist Otto Gross unter den Wiener Revolutionären. Bei einer Zusammenkunft "ziemlich weit draußen im siebenten Bezirk" fordert er für sich ein "Ministerium zur Liquidierung der bürgerlichen Familie und Sexualität".

Der 6. Internationale Otto Gross Kongress, den die Internationale Otto Gross Gesellschaft e.V. in Kooperation mit dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Suchtforschung, Wien, der Universitätsklinik für Tiefenpsychologie und Psychotherapie, Wien, dem Institut für Wissenschaft und Kunst, Wien, sowie der Österreichischen Gesellschaft für arzneimittelgestützte Behandlung Suchtkranker (ÖGABS) veranstaltet, wird sich intensiv mit den theoretischen Wurzeln des Denkens von Otto Gross, mit Fragen der Philosophie, Medizin und Psychoanalyse auseinandersetzen. Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung ­ zu dem als Satellitenprogramm ein "Literarischer Salon" gehört - besteht in der Erarbeitung des Lebens und Wirkens von Gross in Wien, seines Einflusses auf maßgebliche Personen der österreichischen Geistesgeschichte, wie Franz Werfel, Anton Kuh und anderen.

Weitere Informationen zum Kongress und zur Anmeldung: www.ottogross.org/deutsch/Kongresse/2006akongress.html

Ansprechpartner: Raimund Dehmlow, E-Mail: rdehmlow@onlinehome.de und Dr. phil. Ralf Rother, E-Mail: ralf.rother@chello.at


"... da liegt der riesige Schatten Freud's jetzt nicht mehr auf meinem Weg" ­ Die Rebellion des Otto Gross / 6. Internationaler Otto Gross Kongress in Wien, 8. - 10. September 2006

18. Januar 2006 - Vom 8. bis 10. September 2006 wird in Wien der 6. Internationale Otto Gross Kongress stattfinden. "... da liegt der riesige Schatten Freud's jetzt nicht mehr auf meinem Weg" schrieb der österreichische Arzt, Psychoanalytiker und Revolutionär Otto Gross (1877-1920) in einem Brief an Frieda Weekley (geb. von Richthofen) und umriß damit seine Bemühungen um eine Anwendung der psychoanalytischen Methode auf die gesamtgesellschaftlichen Strukturen. Gross entwickelte ein wissenschaftliches Konzept, das in dem Satz "Die Psychologie des Unbewußten ist die Philosophie der Revolution" zusammengefaßt werden kann und darauf setzte, die mit therapeutischer Hilfe erreichte Bewußtmachung unbewußter Vorgänge zur sozialen Veränderung und damit zur Rebellion gegen die herrschenden patriarchalischen Strukturen zu nutzen.

Der dreitägige Wiener Kongress wird von der Internationalen Otto Gross Gesellschaft in Kooperation mit dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Suchtforschung veranstaltet. Zahlreiche Referentinnen und Referenten aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Großbritannien, Japan und den USA werden zu Einzelfragen der Geschichte der Medizin, Psychiatrie, Philosophie und Psychoanalyse Stellung nehmen. Weitere Schwerpunkte der Veranstaltung liegen auf den Themenbereichen "Trauma, Schmerz und Sucht", "Emanzipation" und "Caféhaus" und greifen zentrale Lebensfragen von Otto Gross und der jungen Generation des 20. Jahrhunderts auf. Ein weiterer Themenkomplex des Kongresses behandelt "Otto Gross und die Frauen" und wird sich u.a. mit der Schweizer Schriftstellerin Regina Ullmann, der Malerin Sophie Benz und den Schwestern Else und Frieda von Richthofen beschäftigen.

Die Veröffentlichung des vollständigen Tagungsprogramms ist für den 1. März 2006 geplant. Dann wird auch die Anmeldung zum Kongress über die Website der Internationalen Otto Gross Gesellschaft (www.ottogross.org) möglich sein.

Weitere Informationen: Raimund Dehmlow, E-Mail: rdehmlow@onlinehome.de und Dr. phil. Ralf Rother, E-Mail: ralf.rother@chello.at


Der Traum von der Moderne. Der 5. Internationale Otto Gross Kongress in Zürich. Ein Bericht

Von Albrecht Götz von Olenhusen, Freiburg i.Br.

Biografisches zu Hans und Otto Gross - das war, für manche etwas unerwartet, einer der Schwerpunkte des 5. Internationalen Otto Gross-Kongresses, der vom 16. bis 18. September 2005 in Zürich im Dadahaus tagte. Erstaunlich, was dazu an neuen Erkenntnissen und interessanten Details in Vorträgen zutage kam. Der Grazer Rechtshistoriker Gernot Kocher hatte, auf der Grundlage der vom Kriminalmuseum Graz glücklich erworbenen mehr als 400 Briefe aus dem Umkreis der Familie, wichtige persönliche Perspektiven auf den jungen Otto Gross und die Karriere des Hans Gross zu bieten - erstmals gewann dabei die bis dahin wenig sichtbare Gestalt der Mutter Adele an selbständiger Kontur und trat deutlich als Charakter in Erscheinung. In gleichem Maße tiefschürfend konnte Esther Bertschinger-Joos, Zürich, die langjährige Freundin von Frieda Gross' Tochter Eva (der sie auch zu Beginn des Kongresses einen Nachruf widmete) den bemerkenswerten, wechselvollen und von mancherlei Tragik und Enttäuschung umschatteten Lebenslauf von Frieda Gross anhand des Briefwechsels mit Else Jaffé in aufschlussreichster Art und Weise erhellen. Diese biografisch akzentuierten Beiträge wurden in besonderer Weise ergänzt durch Gerhard Dienes, Graz: das Inselland Dalmatiens als potentielles Deportationsgebiet im Sinne von Hans Gross, eine von der Grazer feinen Gesellschaft gerne frequentierte nahe Insel Dalmatiens als zeitweises Refugium von Otto Gross, seiner Lebensgefährtin Sophie Benz und des Malers Ernst Frick. Dienes kündigte an, dass evt. im kommenden Jahr eine Ausstellung in Rijeka von ihm vorbereitet wird, die sich auch diesem Themenkreis widmet.

Ein früher Weggefährte von Otto Gross, Leopold Weiss, der später als Muhammad Asad am saudischen Königshof zu Ruhm gelangte, stand im Zentrum des spannenden Vortrags von Günther Windhager, Wien - ein vielleicht weit erscheinender, aber farbiger Weg von der Gross'schen Psychoanalyse bis zur Ethnologie und zur Esoterik des Islam. Der - auch biografisch - bemerkenswerte Kontakt von Anton Kuh mit Otto Gross wurde durch den Tübinger Germanisten Andreas Kilcher brillant thematisiert: die Theorie von Otto Gross wird von Anton Kuh angewendet und kreativ fortentwickelt in Bezug auf das Verhältnis von Juden und Deutschen. Der Wiener Schriftsteller Anton Kuh war nicht nur gewissermaßen der Schwager von Otto Gross, der mit seiner Schwester Mizzi Kuh zusammenlebte, und kein bloßer Sympathisant oder Parteigänger, sondern zeitlebens ein profunder Kenner des Gross'schen Werkes und der theoretischen Grundannahmen.

Theoretischen Aspekten waren fundierte Vorträge von Petteri Pietikäinen, Helsinki, und Gottfried Heuer, London, auf dem Kongress als Vorsitzender wiedergewählt, gewidmet. Psychologischer Utopismus einerseits, spirituelle Revolution andererseits - keine einfachen, vielmehr aktuelle, beziehungsreiche und vom Plenum gerne diskutierten Themen, wie auch der Traum der totalen Entgrenzung von Sade bis Dada, auf dem Hintergrunde der Otto Gross'schen Thesen, in dem künstlerisch inspirierten Vortrag Stefan Zweifels (Zürich) besondere Gestalt gewann. Weitausgreifend Ermute White (Indiana) mit dem subtilen und faszinierenden Fortleben von Otto Gross in der brasilianischen Avantgarde. Wie stets sehr substantiell Jennifer Michaels, Iowa, zu den wahrscheinlichen Bezügen zu Otto Gross im Werk von Robert Musil. Dazu hatte schon Martin Green anläßlich des Grazer Kongresses 2003 eine kleine Skizze beigesteuert. Michaels lieferte mehr als nur Fragmente, sondern markante Bausteine für eine These, die viel für sich hat.

Der Samstagabend wurde mit einem Vortrag (Götz von Olenhusen, Freiburg) zu dem Film von Otto Muehl über das Wien der Jahrhundertwende beschlossen - Otto Muehl in der Rolle von Sigmund Freud, Harald Szeemann als Otto Gross, neben zahlreichen anderen Episoden über Konstellationen der künstlerischen, literarischen und musikalischen Avantgarde Wiens um 1900, dargestellt von den bedeutendsten Vertretern des Wiener Aktionismus selbst oder ihm verbundenen Künstlern, wie Brus, Lassnig, Altenberg, Dieter Roth, Rudi Fuchs, Szeemann und vielen anderen, nicht nur ein Beispiel für die spezifische Rezeption der Psychoanalyse im Wiener Aktionismus, für die Einflüsse von Wilhelm Reich, sondern auch für das bislang kaum näher untersuchte Filmschaffen Otto Muehls der 80er Jahre, das ebenso zu Diskussionen Anlaß gibt wie seine Entwicklung vom Wiener Aktionismus zur Kommune Friedrichshof und deren schließlich in Bestrafung endenden Biografie Otto Muehls, heute in Portugal mit den Resten der einstigen Großkommune zu Hause.

Auch eine Biografie, in diesem Fall einmal ihre eigene, hatte im Mittelpunkt der bewegenden, offenherzigen Ansprache von Sophie Templer-Kuh gestanden: das Schicksal einer viele Jahrzehnte vaterlosen Persönlichkeit wurde deutlich, durch einen ihr wenig zugeneigten Stiefvater und durch zahlreiche schwierige Wechselfälle des Lebens zum Beginn des Faschismus in Wien und Berlin, durch die erzwungene Emigration nach Großbritannien geprägt. Ein noch in der Produktion befindlicher Film über Sophie Templer-Kuh wird, so steht zu erwarten, alsbald vieles davon gewiss ebenso eindrücklich dokumentarisch darstellen. Aufnahmen haben dazu unter anderem in Wien und in Graz, auch anläßlich des von der Gesellschaft, zusammen mit Universität Graz und Museum im Stadtmuseum veranstalteten Symposiums "Die Gesetze des Vaters" (30. April 2005) stattgefunden.

Am Beginn des dreitägigen, von Raimund Dehmlow (Hannover) moderierten und von der Gesellschaft (durch Emanuel Hurwitz, Lydia Hurwitz-Trüb und Richard Butz) organisierten, gut besuchten Kongresses, in den Räumen des Dadahauses im Ambiente des Züricher Niederdorfs, in der berühmten Spiegelgasse, bestens situiert, hatte eine Würdigung zu Ehren des im Februar 2005 verstorbenen, weltberühmten Schweizer Ausstellungsmachers und Kurators Harald Szeemann gestanden (Götz von Olenhusen, Freiburg). Der Gross-Forschung war Szeemann seit seiner legendären Ausstellung über "Monte Verità" (Ascona) aufs Engste verbunden. Er hat sie neben Emanuel Hurwitz, Martin Green, Thomas Anz, Bernd Nitzschke und Nicolaus Sombart mit begründet und stets gefördert. Seinem Andenken war auch dieser Kongress gewidmet.

Der Kongress wird, durch einen Kongressbericht dokumentiert. Interessentinnen und Interessenten können ihr Interesse daran - oder auch an den früheren Kongressbänden der Gesellschaft - durch eine Vorbestellung mitteilen: E-Mail: thomas.anz@ottogross.org. Der 6. Internationale Otto Gross Kongress wird im Jahre 2006 in Wien stattfinden.

Weitere Informationen: Fotos vom Kongress


Neuerscheinung: "Gross gegen Gross. Hans & Otto Gross - Ein paradigmatischer Gernerationenkonflikt"

Gerhard Dienes, Albrecht Götz von Olenhusen, Gottfried Heuer, Gernot Kocher (Hrsg.): Gross gegen Gross. Hans & Otto Gross. Ein paradigmatischer Gernerationenkonflikt.

Marburg an der Lahn: Verlag LiteraturWissenschaft.de (TransMIT), 2005. - 222 Seiten mit Abb. u. einer Audio-CD, Preis: EUR 19,80, ISBN 3-936134-11-1

Der Sammelband enthält die Beiträge des Grazer Symposiums vom 30. April 2005 "Gross gegen Gross" über den exemplarische Vater-Sohn-Konflikt zwischen dem Freud-Schüler Otto Gross und seinem Vater, dem Strafrechtslehrer Hans Gross, aus literarischer, psychiatrischer, kulturwissenschaftlicher, rechtshistorischer und biografischer Sicht. Anlass zu dem Symposium war auch der bemerkenswerte Fund und Erwerb von rund 400 Briefen aus der Familie Hans Gross durch das Grazer Kriminalmuseum.

Weitere Informationen u. Bestellformular: www.literaturkritik.de/lit-wiss/content_Dienes_Gross.php

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Internationaler Otto Gross Kongress in Zürich / Motto "Utopie und Eros: Der Traum von der Moderne"

Der 5. Internationale Otto Gross Kongress findet vom 16. - 18. September 2005 in Zürich statt. Die dreitägige Veranstaltung, die die Internationale Otto Gross Gesellschaft e.V. in Kooperation mit dem in Zürich ansässigen "cabaret voltaire" durchführt, steht unter dem Motto "Utopie und Eros: Der Traum von der Moderne".

Zu den Vortragenden gehören namhafte Fachwissenschaftler aus Deutschland, Finnland, Grossbritannien, Österreich, der Schweiz und den USA.

Die Tochter des österreichischen Arztes und Revolutionärs (1877-1920), die heute in Berlin lebende Sophie Templer-Kuh, eine Nichte des österreichischen Schriftstellers Anton Kuh, wird als Ehrenpräsidentin der Gesellschaft den Kongress eröffnen.

Der diesjährige Kongress der Gesellschaft setzt eine erfolgreiche Reihe von Tagungen der Gesellschaft fort, die 1999 in Berlin begann und 2003 mit der international vielbeachteten Tagung "Die Gesetze des Vaters" in Graz ihren vorläufigen Höhepunkt hatte.

Sämtliche Kongresse wurden sorgfältig dokumentiert und erschliessen Leben, Werk und Wirkung von Otto Gross. Mit dem Vater, dem österreichischen Strafrechtslehrer und Kriminologen Hans Gross, früh im Konflikt, wird Otto Gross zunächst Privatdozent für Psychopathologie in Graz, und als Psychoanalytiker Ideengeber der literarischen Bohème wie der gegen die Väter rebellierenden Generation in der Zeit des 1. Weltkrieges.

1913/14 wird Otto Gross vom Vater unter Kuratel gestellt und bis kurz vor Kriegsbeginn in psychiatrischen Anstalten interniert. Nach dem Tod des Vaters 1915 gelingt es ihm nur, die Umwandlung in eine beschränkte Kuratel zu erwirken. Er hat Anteil an revolutionären Aktivitäten in München, Wien und Berlin und widmet sich zunehmend der theoretischen Fundierung neuer Erziehungsformen, die er im Kontext einer freien Gesellschaft sieht, die sich von patriarchalischen Formen befreit hat. Er stirbt, entkräftet und durch jahrelangen exzessiven Drogenmißbrauch zerstört, 1920 in Berlin an einer Lungenentzündung.

Die Berichte der von der Internationalen Otto Gross Gesellschaft initiierten Kongresse sind beim Verlag literaturwissenschaft.de veröffentlicht worden und sämtlich lieferbar (Weitere Informationen: www.literaturwissenschaft.de).

Die Abstracts der Vorträge des diesjährigen Internationalen Otto Gross Kongresses sind bereits ­ wie eine Reihe weiterer Materialien ­ über die Website der Internationalen Otto Gross Gesellschaft e.V. zugänglich (www.ottogross.org).

Der Kongress, der im DADA-Haus stattfindet, ist nicht nur für Fachpublikum, sondern auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Der Tagungsbeitrag für die gesamte Veranstaltung beträgt 60 EUR, vor Ort sind Tageskarten erhältlich.


"Archiv für Kriminologie" (vormals "Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik"): Seit 50 Jahren im Verlag Schmidt-Römhild, Lübeck / Begründer Otto Gross' Vater Hans Gross

Von Albrecht Götz v. Olenhusen, Freiburg i.Br.

Das heutige Archiv für Kriminologie wurde von Prof. Dr. jur. Hans Gross, Graz, 1898 gegründet. Damals hiess die Zeitschrift, in der auch der Sohn von Hans Gross, der Psychoanalytiker Dr. med. Otto Gross, anfänglich publizierte, noch "Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik". Bis zum Tode von Hans Gross erschienen 65 Bände. Unter dem jetzt noch geläufigen Titel erscheint die Zeitschrift seit dem Jahre 1916. Das Archiv, das inzwischen auf mehr als 107 Jahre der Existenz zurückblicken kann, wurde verschiedentlich, insbesondere durch Prof. Dr. med. Stefan Pollak, Institut für Rechtsmedizin der Universität Freiburg, in seinem Werdegang dargestellt, zuletzt in einem Beitrag in der Zeitschrift selbst, Bd. 215, Heft 5 und 6/2005, Mai/Juni 2oo5, S. 173-174.

Das Archiv wurde zunächst vom Verlag F. C.W. Vogel in Leipzig, alsdann von 1930 bis 1944 im Berliner Springer-Verlag  verlegerisch betreut. Dr. Robert Heindl führte das Archiv seit 1955 im Verlag Schmidt-Römhild fort. Das Lübecker Verlagshaus kann auf eine bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Tradition zurückblicken. Zum 425. Jubiläumsjahr des Verlages veröffentlichte der Verlag eine von N. Beleke herausgegebenen Festschrift (2004).

Die Zeitschrift wurde im übrigen in der Tradition von Hans Gross seit 1972 durch Prof. Dr. jur. Friedrich Geerds herausgegeben. Geerds war dafür besonders geeignet, hatte er doch seit 1976/78 das "Handbuch für Untersuchungsrichter" von Hans Gross bearbeitet und in 10. Auflage, nun unter dem Titel "Handbuch der Kriminalistik" publiziert. Eine Friedrich Geerds gewidmete Festschrift unter dem Titel "Kriminalistik und Strafrecht, von E. Schlüchter herausgegeben, erschien im Jahre 1995.


Betrachtung eines paradigmatischen Familienkonflikts - Das Grazer Symposium zu Hans und Otto Gross am 30. April 2005 im Stadtmuseum

Einen besonderen, unverwechselbaren Akzent setzte die Anwesenheit von Sophie Templer-Kuh, Tochter von Marianne "Mizzi" Kuh und Enkelin von Hans Gross beim Symposium "Die Gesetze des Vaters" im Grazer Stadtmuseum am 30. April 2005. Ständig diskret begleitet von einem Film-Team der Firma Indi-Film, das an den verschiedenen Stationen der Biographien von Vater und Tochter einen Fernsehfilm für das ORF dreht, nahm sie an den Vorträgen regen Anteil. Bewegend ihre Ansprache bei der Präsentation des ihr gewidmeten Buches mit den Vorträgen vom Grazer Kongress der Internationalen Otto Gross Gesellschaft 2003, die unter der Überschrift "Wie ich meinen Vater entdeckte und viele neue Freunde gewann" stehen könnte.

Die vom Stadtmuseum Graz, seinem Direktor Dr. Gerhard Dienes und den anderen Mitarbeitern hervorragend organisierte Tagung (Mitveranstalter: die Karl Franzens-Universität, die Urania, sowie die Internationale Otto Gross Gesellschaft) führte die Forschungsansätze der auch international weithin beachteten Ausstellung "Die Gesetze des Vaters" vom Oktober 2003 fort. Mit Dr. Ralf Rother, Wien, als Moderator, präsentierte der Grazer Rechtshistoriker, Dekan Prof. Dr. Gernot Kocher in einer ungemein aufschlussreichen und subtil interpretierten Auswahl aus 400 vom Kriminalmuseum Graz neu erworbenen Briefen des Familienkreises um Hans und Otto Gross überraschende Einblicke in die Frühgeschichte einer bürgerlichen Familie und der Biografien von Vater und Sohn ­ mit neuen Erkenntnissen über Adele Gross und ihre Mutter und damit über die, die frühe Sozialisation von Otto Gross mit prägenden, bislang kaum sichtbaren Frauen-Figuren und untergründig wirksamen familiären Strukturen.

Die Vater-Sohn-Beziehung aus moderner psychiatrischer Sicht und die bemerkenswerten Bezüge von Otto Gross' Theorien zur modernen Hirnforschung zeigte der Grazer Psychiater Prof. Dr. Piringer auf. Leben. Werk und Wirkung von Hans und Otto Gross wurden in - von Dr. Gerhard Dienes und Dr. Gottfried Heuer, London, - treffend akzentuierten biografischen Abrissen dargeboten.

Dr. Albrecht Götz v. Olenhusen, Freiburg i.Br., stellte den gerade erschienenen Sammelband des Grazer Kongresses der Internationalen Otto Gross Gesellschaft, "Die Gesetze des Vaters", herausgegeben von ihm und Gottfried Heuer, vor. Patriarchatsdebatte, Frauenemanzipation und Erbrecht als zentrale übergreifende rechtshistorische Themenstellungen der Prozesse des "begnadeten Netzwerkers" (P. Becker) Hans Gross seit 1913 bildeten die Schwerpunkte seines Vortrages.

Kontrapunkte zu den wissenschaftlich orientierten Darstellungen bot die anschließend dargebotene markante Szenenauswahl aus dem im Oktober 2003 uraufgeführten Theaterstück "Otto Gross ­ Tod eines Anarchisten", präsentiert von Reza Kanzian und Franz Blauensteiner, Graz. Krönender Abschluss der überzeugend von Dr. Dienes konzipierten Programmfolge war dann die Lesung der spannungsgeladenen dokumentarischen Text-Collage (Prof. Balluch, G. Dienes) mit Texten von Kafka, Freud, C. G. Jung, Otto und Hans Gross. Hier wurde einmal mehr durch grandiose Vortragskunst deutlich, weshalb sich dieser Jahrhundertkonflikt für Literatur, Psychiatrie, Psychoanalyse und die politische Avantgarde zum Symbol einer Epoche, zum nachwirkenden Faszinosum entwickelte.

Die Vorträge des Symposiums, womöglich ergänzt durch Tondokumente, werden voraussichtlich schon zum Züricher Kongress der Internationalen Otto Gross Gesellschaft im September 2005 publiziert werden.


"Fall eines Anarchisten - Dr. Otto Gross", Symposium und Buchpräsentation in Graz

Der "Fall eines Anarchisten - Dr. Otto Gross mit Rezka Kanzian und Franz Blauensteiner wird am 30. April 2005 in Graz erneut aufgeführt. Die Textcollage von Autor und Regisseur Franz Blauensteiner wurde am 15. Oktober 2003 uraufgeführt und im Tagungsband des 4. Internationalen Otto-Gross-Kongresses "Die Gesetze des Vaters" dokumentiert.

Die Lesung, die am Samstag, 30. April 2005 um 11 Uhr 30 beginnt, ist Teil des Symposiums

DIE GESETZE DES VATERS
Hans & Otto Gross

Veranstaltungsort: stadtMUSEUMgraz, Sackstraße 18

Die Tagungsgebühr beträgt 5 Euro, für Uraniamitglieder 3 Euro
 
PROGRAMM:
10:15        Begrüßung
10:30        Hans Gross - Der Verfolger des Bösen (Dr. Gerhard M. Dienes, Graz)
11:00        Otto Gross, Leben, Werk, Wirkung (Dr. Gottfried Heuer, London)
11:30        Fall eines Anarchisten - Dr. Otto Gross (Lesung, WERKAUMtheater, Graz)
12:00        Buffet
13:30        Präsentation der Publikation "Die Gesetze des Vaters"
14:00        Neues über Hans und Otto Gross (Univ. Prof. Dr. Gernot Kocher, Graz)
14:30        Das Gesetz des Vaters (Univ. Prof. Dr. Walter Pieringer, Graz)
15:00        Kaffeepause
15:30        Hans Gross und das Entmündigungs-, Kuratel- und Erbrecht (Dr. Albrecht Götz v. Olenhusen, Freiburg i. Brsg.)
16:00        Gross gegen Gross (Lesung, Prof. Gerhard Balluch und Dr. Gerhard M. Dienes)
17:00        Abschlussdiskussion (Moderation: Dr. Ralf Rother, Wien)


"Archiv für Kriminologie" würdigt Sammelband "Die Gesetze des Vaters"

Der soeben im Marburger Verlag LiteraturWissenschaft.de erschienene Sammelband mit den Beiträgen des Grazer Kongresses der Internationalen Otto Gross Gesellschaft vom Oktober 2003  wird in der neuesten Ausgabe der Monats-Zeitschrift "Archiv für Kriminologie", herausgegeben von Universitäts-Prof. Dr. Stefan Pollak, Freiburg i.Br., Institut für Rechtsmedizin der Universität, positiv gewürdigt: "Insgesamt vermittelt der Kongressband  ein facettenreiches Bild der interdisziplinären Forschung und Diskussion über Otto Gross und sein Verhältnis zu seinem Vater Hans Gross. Das Werk kann allen rechts- und kulturhistorisch interessierten Lesern vorbehaltlos empfohlen werden." In der Besprechung wird im übrigen auf den 4. Kongress der Gesellschaft, auf die Ausstellung in Graz, das Werk von C. Jung und T. Anz (Arch.Kriminol. 213:56-57, 2004) verwiesen, sowie auf das Wirken der seit 1999 bestehenden und mit vier Kongressen hervorgetretenen Gesellschaft und deren Website.


Neue Juristische Wochenschrift bringt Beitrag über den Prozess von Hans Gross ./. Otto Gross

Den Prozess des Grazer Strafrechtsprofessors und Kriminologen Hans Gross (1847-1915) gegen seinen Sohn, den Psychoanalytiker Dr. Otto Gross (1877-1920), um dessen Einweisung und Entmündigung wegen "Wahnsinns" hat Albrecht Götz von Olenhusen, Freiburg i.Br., in der "Neuen Juristischen Wochenschrift" (Nr. 9/2005 , S. 554-558) thematisiert. Auf der Basis der Akten des Steiermarkischen Landesarchivs Graz hat der Autor den Fall aus juristischer und rechtshistorischer Perspektive in sechs Abschnitten aufgearbeitet (Otto Gross - Symbolfigur für einen Vater-Sohn-Konflikt, Behandlung psychisch Kranker im 19. Jahrhundert in Österreich, Die Entmündigung von Otto Gross, Entlassung als "geheilt", Entwicklungen nach dem Tode von Hans Gross, Bedeutung von Otto Gross in der Psychoanalyse).

Einmal im Jahr widmet die NJW ein Schwerpunktheft Beiträgen zum Thema Literatur, Kunst und Recht. Die Ausgabe vom 28. 2. 2005 enthält außerdem Beiträge über den Gotteslästerungsprozess gegen George Grosz (B.v.Becker), über "Justiz" von Friedrich Dürrenmatt (A. Strunz-Happe), Thomas Mann und seinen Anwalt V. Heins (H. Blechschmid) und Beiträge über deutsche Juristen jüdischer Abstammung (J. Rott, K. Redeker) u.a. (siehe auch: Die NJW im Internet: www.njw.de).


Symbole der Zukunft - Gedanken zum Tode von Harald Szeemann

Von Hermann Müller

Harald Szeemann ist tot. Der Wiederentdecker und Ausgräber des Monte Verità soll am 17. Februar gestorben sein, einen Tag nach Gräsers Geburtstag. Ich hatte ihm noch am selben Tag meinen Gruß von Gusto zugesandt.

Seine Verdienste um den Monte Verità sind unendlich groß. Nun ist die Frage: Was wird aus seiner Sammlung MONTE MITICO? Was wird aus seinem unvollendeten Gesamtkunstwerk MONTE UTOPIA?

Der Monte Verità war für ihn Haupt- und Herzenssache. Mit Schmerzen habe ich seinen jahrelangen zähen Kampf um eine sinnvolle Weiterführung der Geschichtstradition auf dem Berg verfolgt, ohne ihm dabei helfen zu können. Der Misserfolg in seiner eigenen Heimat in dieser Herzenssache ­ bei so vielen und großen Erfolgen in aller Welt ­ muss ihn tief bedrückt haben.

Er war ein Abenteurer und Rebell, immer auf der Suche nach "individuellen Mythologien". Er hat gespürt, dass in diesem "Wahrheitsberg" ein echter und fruchtbarer Mythos verborgen liegt. Er nannte ihn "Utopie". In seiner Ausstellung hat er die Gesellschaft vom Berg so behandelt, "wie wenn Utopie Realität geworden wäre, wie wenn dieses faszinierende Potential zum WIR geworden wäre". Er baute Utopie, er baute am Mythos.

"Die Ausstellung war ein Traum, fast ein Gesamtkunstwerk", hat er über seine Monte Verità-Inszenierung gesagt. Der Monte Verità war sein Traum, und durch ihn sollte er ein Gesamtkunstwerk werden. Sein Tod hinterlässt uns die Aufgabe, den ungebauten "Tempel", an dessen Konstruktion er mit so viel Liebe und Leidenschaft gearbeitet hat, zu vollenden.

Zu seinem Gedächtnis habe ich einige Äußerungen Harald Szeemanns angefügt, persönliche und öffentliche.

Er ruhe in Frieden!

"Nur der einzelne Schöpferische kann,
da kompromissloser,
wenn auch für die Zeitgenossen noch unverständlich,
die Symbole der Zukunft schaffen und damit vorerst für wenige andeuten.
Die Gesellschaft akzeptiert ungern einen einzelnen als Propheten,
politisch schon eher;
aber den Symbolschaffer verschmäht sie meist zu Lebzeiten.
Der Grund dafür ist offensichtlich:
Er ist außerhalb der Norm, es gab Zeiten, da nannte man ihn entartet.
Weil seine Werke Schöpfungen sind."

"Eigentlich haben alle diese dritten Wege unseres Jahrhunderts dort auf dem Monte Verità ihre Wiege und ihre wichtigsten Vertreter: Anarchie, Theosophie, Lebensreform, künstlerische Avantgarde zu Beginn unseres Jahrhunderts als erste Revolution in der Kunst, dann Körperbefreiung und neuer Tanz... Es ist eine Geschichte, die nie unterrichtet wurde, weil sie immer 'daneben' war.

Mich interessiert nur abweichendes Bewusstsein, weil nur darin Utopieenergien zu finden sind. Der Konsens ... interessiert mich nicht, da er tradiertem Machtdenken entspricht. Und so interessiert mich auch lineares geschichtliches Denken nicht, weder links noch rechts, sondern nur die Präsenz der Utopie.

Wenn es einen Ort gibt, an dem nach dem Zusammenbruch der Ideologien und dem Wiederaufblühen des Rassismus und der Nationalismen wieder an übergeordnete Ideen und Idealismen erinnert und heute gedacht werden kann, dann ist es dieser Hügel, dieses Herzstück in einer neuzeitlichen sakralen Topographie.

Der Monte Verità liegt mir am Herzen."

Harald Szeemann


Eva Verena Schloffer in Zürich gestorben

Von Esther Bertschinger-Joos, Zürich

Eva Schloffer kam am 9. September 1910 als Eva Gross in München zur Welt. Ihre offiziellen Eltern waren Frieda und Otto Gross, ihr leiblicher Vater der Schweizer Ernst Frick. In Ascona verbrachte sie mit ihrem Halbbruder Peter und zwei jüngeren Schwestern ihre Kinder- und Jugendzeit; zur eigentlichen Heimat aber wurde ihr Bosco Gurin, das deutschsprachige Tessiner Bergdorf, wo die Familie jeweils die Sommermonate und Eva 1920 ihr erstes Jahr an der öffentlichen Schule zubrachte. Das Abitur holte sie sich später auf der Nordseeinsel Juist in der "Schule am Meer"; Else Jaffé, die Freundin ihrer Mutter, hatte ihr dort einen Freiplatz vermittelt.

Mit dem Wegzug von zu Hause musste Eva Gross ihren Namen ändern: Sie war das "Prozesskind", das durch den Vater von Otto Gross, dem Kriminalistikprofessor Hans Gross in Graz, als nicht zugehörig zur Familie Gross und deshalb als unehelich erklärt wurde - für Eva Schloffer, wie sie fortan hiess, ein lebenslänglich prägendes Stigma.

Nach der Ausbildung zur medizinischen Laborantin in Berlin arbeitete Eva Schloffer 12 Jahre in Zürich als Arztgehilfin bei einem jüdischen Frauenarzt und begegnete dort dem Schicksal vieler Emigranten, was sie nachhaltig beeindruckte. 1946 - im gleichen Jahr starb ihr Bruder Peter an Tuberkulose - erwarb sie das Bürgerrecht der Stadt Zürich. Ab 1947 half sie viele Jahre als Haushälterin in Familien, bis sie schliesslich 1958 bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ihre letzte Arbeitsstelle fand, die sie bis zu ihrer Pensionierung 1975 inne hatte. Während dieser Zeit verlor sie auch ihre Eltern und ihre jüngste Schwester Ruth durch den Tod.

Lange gesunde Jahre blieben ihr danach noch, die sie mit vielen Tätigkeiten ausfüllte. Teilnehmend am Schicksal von Mitmenschen, interessiert am Weltgeschehen, war sie auch kritisch engagiertes Mitglied der katholischen Kirche, fleissige Hörerin an der Senioren-Uni, unternahm sie oft lange Wanderungen und pflegte den Kontakt mit Freunden und vor allem mit ihrer Schwester Cornelia, die in England lebte, aber leider 1995 starb.

Danach wurde das Leben von Eva Schloffer langsam beschwerlich. Den Übertritt ins Altersheim konnte sie nicht verkraften; Depressionen machten schliesslich einen stationären Aufenthalt in einer Klinik notwendig. Dort kam sie zur inneren Ruhe, lebte ein bescheidenstes, aber geistig waches Leben und wurde von ihren Betreuerinnen und Betreuern bis zuletzt geschätzt und geliebt. Von Freunden umgeben entschlief sie dort am 5. Februar 2005 friedlich nach kurzem Unwohlsein.


Ein Jahrhundert Deutsche Gesellschaft für gerichtliche Medizin

Von Dr. jur. Albrecht Götz v. Olenhusen, Freiburg i.Br.

Der 100. Jahrestag der Gründung der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche Medizin wurde bei einer Festveranstaltung am 30. Oktober 2004 im Berliner Harnack-Haus gefeiert. Prof. Dr. Stefan Pollak, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Freiburg i.Br., Herausgeber des von Hans Gross, Graz, gegründeten, inzwischen 106 Jahre alten "Archivs für Kriminologie", so die heutige Bezeichnung, hat im neuesten Heft, Arch.Kriminol. 213: 56-57 (2004), die Geschichte der Gesellschaft umfassend und eingehend nachgezeichnet. Dabei wird auch auf den Gründer und langjährigen Herausgeber des Archivs, Hans Gross, Graz, eingegangen. Ferner wird auch die Geschichte der entsprechenden Gesellschaften in der Schweiz, in Österreich und in der DDR geschildert.

Der sehr instruktive und ausführliche, mit einem Verzeichnis weiterführender Literatur versehene Beitrag Prof. Pollaks verweist u.a. auch auf das Hans Gross'sche "Handbuch des Untersuchungsrichters", 6. Aufl., 1914, in welchem die wichtige Funktion der Gerichtsärzte dargestellt worden ist. Hans Gross hatte 1915 die Aufgaben der Zeitschrift formuliert, welche sich auch heute noch mit Recht als wichtiges Publikationsorgan für rechtsmedizinische Forschungsergebnisse versteht. Die Zeitschrift erscheint als Monatsschrift in Freiburg i.Br. Hans Gross veröffentlichte in der Zeitschrift auch frühe Beiträge seines Sohnes Otto Gross.

Im gleichen Heft des Archivs für Kriminologie hat Prof. Pollak auch den folgenden Sammelband besprochen:

Dienes, Gerhard / Rother, Ralf (Hrsg.): Die Gesetze des Vaters. Wien, Köln, Weimar (Böhlau) 2003. 287 S., kart.

Es handelt sich um das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung Graz 2003, in der die grenzüberschreitende Diskussion "zwischen Kriminalistik, Psychoanalyse und Literatur " dokumentiert wurde und in deren Mittelpunkt das Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Hans und Otto Gross stand.

An gleicher Stelle (S.57) des Heftes hat der Verf. dieser Notiz den Band von Christina Jung/Thomas Anz: Der Fall Otto Gross. Marburg: Transmit 2002, 169 S. kart. rezensiert. Darin wird - aus literaturwissenschaftlicher Sicht durch Christina Jung, Hamburg, und Thomas Anz, Marburg -, die durch die Verhaftung von Otto Gross in Berlin ausgelöste Pressekampagne im Winter 1913/14 dokumentiert und analysiert.


Die Gesetze des Vaters: Sammelband mit Vorträgen des 4. Internationalen Otto Gross-Kongresses erschienen / Nächster Kongreß findet im September 2005 in Zürich statt

19. Januar 2005 - Die Internationale Otto Gross-Gesellschaft, London/Hannover, freut sich, mitzuteilen, dass der Sammelband über die Vorträge des 4. Internationalen Otto Gross-Kongresses (Graz 2003) vorliegt. Wir setzen damit die Reihe der Kongresspublikationen im Verlag LiteraturWissenschaft.de Marburg fort:

 Titelblatt: Die Gesetze des Vater

Albrecht Götz von Olenhusen / Gottfried Heuer (Hg.):
Die Gesetze des Vaters. 4. Internationaler Otto Gross Kongress. Robert Stolz-Museum, Karl-Franzens-Universität Graz, 24.-26. Oktober 2003
Marburg an der Lahn: Verlag LiteraturWissenschaft.de, 2005. 507 Seiten, 26,- EUR, ISBN 3-936134-08-1

Der Sammelband dokumentiert wesentliche Beiträge zur aktuellen Forschung über Hans und Otto Gross sowie den Vater-Sohn-Konflikt im Wilhelminismus und in der Habsburger Monarchie. Abgedruckt werden sämtliche Vorträge zum interdisziplinären 4. Internationalen Otto Gross Kongress in Graz, 24. bis 26. Oktober 2003. Autoren: Thomas Anz, Peter Becker, Esther Bertschinger-Joos, Wolfgang Buchner, Daniel Burston, Bozena Choluj, Gerhard Dienes, Ernst Falzeder, Albrecht Götz von Olenhusen, Martin Green, Gottfried Heuer, Emanuel Hurwitz, Gernot Kocher, Carl Krockel, Jennifer Michaels, Bernd Nitzschke, Ralf Rother, Sophie Templer-Kuh, John Turner, Erdmute White, Sam Whimster, Siegbert Wolf.

Ausserdem stehen in dem Band zwei bisher unveröffentlichte Texte von Otto Gross, Dokumente zu Gross, der vollständige Text des in Graz uraufgeführten Theaterstücks über Gross, sowie Kongressberichte und Kommentare.

Der Grazer Strafrechtsprofessor Hans Gross ließ 1913/1914 seinen Sohn, den Psychoanalytiker Dr. med. Otto Gross wegen "Wahnsinns" entmündigen. Der Fall wurde zu einem paradigmatischen Generationenkonflikt im Expressionismus.

Bestellungen bitte an:
TRANSMIT. Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien
Wilhelm-Röpke-Str. 6 a, 35039 Marburg, Tel.: 06421/2824674, Sekr.: 24673, Fax: 28973, Internet: www.literaturkritik.de/lit-wiss/

Anfragen wegen Rezensionsexemplaren erbitten wir an: Dr. Gottfried Heuer, E-Mail: gottfried.heuer@ottogross.org

Der 5. Internationale Otto Gross Kongress wird vom 16. - 18. September 2005 in Zürich stattfinden. Wiederum haben sich Vortragende aus dem In- und Ausland sowie von Übersee angesagt. Weitere Informationen auf Anfrage. Kontakt: Dr. Gottfried Heuer


Internationaler Otto Gross Kongress: "Die Gesetze des Vaters" - oder: Die Rückkehr des verlorenen Sohnes. 24. - 26. Oktober 2003, Robert-Stolz-Museum, Karl Franzens-Universität, Graz, Österreich

Von Gottfried Heuer

20. Dezember 2003 - Als Programmbeitrag zu "Graz 2003: Kulturhauptstadt Europas" hatte Herr Dr. Dienes, Direktor des Grazer Stadtmuseums, die Internationale Otto Gross Gesellschaft für ihren 4. Kongress in Gross' Heimatstadt eingeladen. Es war ein Gelegenheit, Otto Gross nach Hause zurückzubringen, fast die Rückkehr eines verlorenen Sohnes. 1902 hatte Gross' Braut Frieda Schloffer an ihre Freundin Else Jaffé geschrieben: "Die Grazer mögen ihn nicht. Zum Teil ist es die Abneigung der Philister gegen das Geniale. [. . .] Vielleicht etwas zu sehr "anders" als die andern . . ."; und Gross' Kämpfe mit seinem Vater hatten archetypische Dimensionen. Nun, beinahe hundert Jahre später, bereitete die Stadt Graz wirklich sehr viel mehr, so schien es, als das biblische "gemästete Kalb" für Gross' Rückkehr.

In der großen Ausstellung "Die Gesetze des Vaters. Im Spannungsfeld von Drogen, Sex und Rebellion", entwickelt von Dr. Gerhard Dienes und Dr. Ralf Rother, Wien, fand eine Wiedervereinigung ­ fast eine Versöhnung! ­ statt zwischen Otto Gross und seinem Vater, dem berühmten Kriminologen Hans Gross. Die Ausstellung beschäftigte sich auch mit Sigmund Freud und Franz Kafka ­ vier Männer, die miteinander in persönlichem Kontakt gestanden hatten, und ihre jeweiligen Perspektiven auf Gesetz und Ordnung, den Staat, das Patriarchat, das Unbewußte, und die komplizierte Beziehung zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Die Ausstellung enthielt zahlreiche Dokumente und Photographien als Leihgaben aus dem Otto Gross Archiv, London, das Gottfried Heuer 1996 gegründet hat. In den Straßen von Graz hingen große Transparente und Plakate, die die Ausstellung bekanntmachten, sodaß eine Kongressbesucherin aus Iowa schrieb: "Es war einfach zu schön, wie mich überall in Graz Otto Gross' Gesicht anschaute!"

Unter www.stadtmuseum-graz.at/gdv schuf das Stadtmuseum für die Ausstellung auch eine viele Text- und Bildseiten umfassende Datenbank im Internet, und die beiden Ausstellungsgestalter Dr. Gerhard Dienes und Dr. Ralf Rother gaben einen eindrucksvollen, großformatigen Begleitband zur Ausstellung heraus, verlegt vom Böhlau Verlag, Wien, (www.boehlau.at). Auf fast 300 Seiten vereinigt dieses Buch das Neueste der internationalen Gross-Forschung von etwa 20 verschiedenen Autoren, unter ihnen Richard Faber, Berlin, Martin Green, Cambridge, New England, Laurence Rickels, Santa Barbara, Californien, Michael Turnheim, Paris, Eva Züchner, Berlin, sowie die Kongress Organisatoren Dr. Albrecht Götz von Olenhusen, Freiburg, und Gottfried Heuer, London, und die Herausgeber des Bandes.

In einem umfangreichen Rahmenprogramm veranstaltete das Stadtmuseum jeweils an Sonntagvormittagen zwischen September 2003 und Februar 2004 Lesungen des Schauspielers Gerhard Balluch von einer "Protokollcollage Gross gegen Gross ­ Ein schicksalshafter Vater-Sohn-Konflikt", "Man hat ihn sehen müssen ­ Texte von Franz Werfel über Otto Gross", "Jemand mußte Josef K. verleumdet haben ­ Franz Kafka", und "Ich lebe nackt und aufmerksam wie ein Hirsch ­ Hermann Hesse und der Monte Verità". Zusätzlich dazu sprachen in einer abendlichen Vortragsreihe Gerhard Dienes zu "Der Mann Moses und die Folter der Maschine", Ralf Rother über "Der Traum vom Ende Patriarchats ­ Oder: Was heißt es, den Tod zu überleben?" Helmut Hanko und Gerhard Dienes über "Die Kaffeehäuser von München", und Janko Ferch über "Lauter(e) Urteile. Franz Kafka, sein Lehrer Hans Gross und deren Richter".

Das Grazer Werkraumtheater brachte ein zweistündiges Theaterstück zur Aufführung, Text und Regie Franz Blauensteiner und Rezka Kanzian, "Fall eines Anarchisten. Dr. Otto Gross" - in dem mit unglaublich viel Kreativität, Schwung, Begeisterung und Können vier SchauspielerInnen 30 verschiedene Rollen spielten. Dabei wurden Otto Gross und sein Vater von demselben Schauspieler gespielt, genauso, wie zum Jahreswechsel 2002/2003 auf der Bühne des Londoner National Theatre in Christopher Hamptons Schauspiel "The Talking Cure" Gross und Freud von dem demselben Darsteller gespielt wurden - interessante Beiträge zum Thema Vater-Sohn-Konflikt!

Die einzige noch lebende Tochter von Otto Gross, Sophie Templer-Kuh, wurde für die Dauer des Kongresses als Gast des Bürgermeisters von Graz beherbergt. Die Wochenendausgaber der Wiener Zeitung (Nr. 205, Extra, S. 8; www.taz.de/pt/2003/09/12/a0182.nf/text.ges,1 und www.taz.de/pt/2003/09/12/a0181.nf/text.ges,1) veröffentlichte zum Kongress ganzseitig eine Textvariante von Sandra Löhrs Artikel über sie "Die lange Suche nach dem Vater", zusammen mit einem großen Photo. Als Ehrenpräsidentin der Internationalen Otto Gross Gesellschaft eröffnete Sophie Templer-Kuh den Kongress, nachdem die TeilnehmerInnen auf das Herzlichste von Dr. Dienes und Mag. Walter Titz, der für den Bürgermeister sprach, willkommen geheißen worden waren. Gottfried Heuer, London, der den Kongress zusammen mit Albrecht Götz von Olenhusen, Freiburg i. Br., organisiert hatte, hielt die Eröffnungsrede und stellte auch seine letzten Neuentdeckungen und die seines Mitorganisatoren vor: die letzten von Gross verfaßten Texte "Zur Solidarität im Klassenkampf", und "Themen revolutionärer Psychologie", beide aus dem Jahre 1920, sowie Dokumente aus dem Wiener Kriegsministerium, die ein neues Licht auf Gross' Aktivitäten als Lazarettarzt während des 1. Weltkrieges in Osteuropa werfen. All diese Neuentdeckungen sind veröffentlicht auf der CD-ROM, die Albrecht Götz von Olenhusen 2003 herausgegeben hat: "Hans Gross gegen Otto Gross. Die Geschichte eines Prozesses. Berichte. Dokumente. Bibliographie."

Dr. Emanuel Hurwitz, Otto Gross' erster Biograph und Begründer der Gross-Forschung, sprach in seinem Festvortrag am Freitagabend über die Geschichtsschreibung zu Gross und die Beziehung zu seinem Vater. Bevor sich auf Einladung des Stadtmuseums sämtliche KongressteilnehmerInnen das Theaterstück des Werkraumtheaters ansahen, genossen alle den Wein- und Buffetempfang, zu dem der Bürgermeister von Graz geladen hatte.

Am Sonnabendmorgen sprachen Dr. Ralf Rother, Wien, über "Die Damen in der Strafkolonie. Zu Hans Gross und Franz Kafka", Dr. Albrecht Götz von Olenhusen, Freiburg i.Br., "Über den Wahnsinn in Zeiten des Krieges: Franz Jung, Otto Gross und das Kriegsrecht", Dr. John Turner, Swansea, Wales, über "Otto Gross and D. H. Lawrence". Vorträge, deren Titel auf Englisch angegeben sind, wurden in englischer Sprache gehalten.

Am frühen Sonnabendnachmittag führte Dr. Gerhard Dienes durch die Ausstellung "Die Gesetze des Vaters". Anschließend sprachen Dr. Ernst Falzeder, Spital am Pyhrn, über "Sigmund Freud, Eugen Bleuler, C.G. Jung und das Burghölzli", Dr. Bernd Nitzschke, Düsseldorf, über "Das magische Dreieck ­ Otto Gross, C.G.Jung, Sabina Spielrein. Ein Bericht aus der Frühgeschichte der Psychoanalyse", Gottfried Heuer, London, zu "'Ganz Wien in die Luft sprengen? . . . Das wäre ja wunderbar!' Der Anarchist Otto Gross", und Dr. Siegbert Wolf, Frankfurt am Main, über das Verhältnis zwischen Otto Gross und Gustav Landauer in "Psychoanalyse und Anarchismus".

Zum Sonnabendabend hatte Prof. Dr. Gernot Kocher, Dekan der juristischen Fakultät der Karl Franzens-Universität die KongressteilnehmerInnen zu seinem Vortag über Hans Gross und eine Führung durch das von ihm neu eingerichtete Kriminalmuseum des Hans Gross in die Universität eingeladen. Dort hielt anschließend auch Prof. Dr. Peter Becker, Florenz, seinen Vortrag "Zwischen Tradition und Neubeginn: Hans Gross und die Kriminologie und Krminalistik der Jahrhundertwende". Danach lud Prof. Dr. Kocher zu einem üppigen Empfang mit Wein und Essen ein.

Am Sonntagmorgen präsentierte Esther Bertschinger-Joos, Zürich, "Frieda Gross: Briefe aus Graz: 1882 ­ 1906. Ein Beitrag zur Biographie" und gab damit zum ersten Mal in der Gross Forschung auch der Frau von Otto Gross eine Stimme. Prof. Dr. Jennifer Michaels, Grinnell, Iowa, sprach über "Der Deserteur beim Prieser Astaroths: Franz Werfel und Otto Gross".

Sonntagmittag führte der Grazer Künstler Wolfgang Buchner durch seine "Ausstellung in der Ausstellung" im Stadtmuseum, "Unterströmungen des Bewußtseins", in der er Kunst mit dem psychiatrischen und neurobiologischen Frühwerk von Otto Gross über Energiefluß und Nervenbahnen in Beziehung setzte. Buchner sprach auch über die Rolle von Kokain im Leben von Otto Gross als eines Mittels, welches er zur Konzentration wissenschaftlicher Arbeit brauchte. Buchner verwendete in diesem Zusammenhang den Begriff "Assistent Kokain". Eine weitere Begleitausstellung zur großen Ausstellung "Die Gesetze des Vaters" war die von Mag. Annette Rainer gestaltete "Mißratene Töchter. Avantgardistinnen der 20er und 30er Jahre im Schatten des Patriarchats", ebenfalls im Stadtmuseum, die sich besonders mit der Grazer Malerin Gertrud Ring auseinandersetzte, die in Berlin eng mit der Dadaistin Hannah Höch befreundet gewesen war.

Am Sonntagnachmittag sprachen Prof. Dr. Daniel Burston, Pittsburgh, Pennsylvania, über "Otto Gross, R.D. Laing and the Politics of Diagnosis", Prof. Dr. Erdmute Wenzel White, West Lafayette, Indiana, in "Otto Gross: the Taos Connection" über das Netzwerk von Beziehungen zwischen Otto Gross, Frieda Weekley, D.H. Lawrence, mit einer Betonung auf dem Leben der beiden Letzteren in New Mexico. Dr. Sam Whimster, London, sprach über "Ethics in Max Weber and Otto Gross: A Study in Personalities".

Der Kongress zog weit über hundert Besucher und Vortragende an aus Belgien, Deutschland, England, Indiana, Iowa, Italien, Japan, Österreich, Pennsylania, der Schweiz und Wales ­ unter ihnen aus der Schweiz auch der Neffe und Großneffe Ernst Fricks, der eine lange Beziehung und drei Töchter mit Frieda Gross gehabt hat (www.ernstfrick.ch/register.htm).

Leider waren folgende Vortragende, die sich angemeldet hatten, aus Gesundheits-, finanziellen und Arbeitsgründen nicht in der Lage, zum Kongress zu kommen: Prof. Dr. Thomas Anz hatte über "Familienväter im 20. Jahrhundert: Literarische, psychoanalytische und kulturwissenschaftliche Mystifikationen sozialer Macht" sprechen wollen, Prof. Dr. Bozena Choluj, Warschau, über "Der Vater im Hintergrund des Anarchismus von Otto Gross", Prof. Dr. Walter Fähnders, Osnabrück, über "Vatermord und Vatermörder. Von Arnolt Bronnen und Walter Hasenclever bis Mela Hartwig", und Prof. Dr. Martin Green, Cambridge, Massachusetts, über Otto Gross und Robert Musils Theaterstück "Die Schwärmer". Die Texte dieser Vorträge werden aber in den Kongress Band mit aufgenommen werden, den Dr. Albrecht Götz von Olenhusen und Gottfried Heuer herausgeben - Albrecht Götz von Olenhusen & Gottfried Heuer, Hrg. , (2004): Die Gesetze des Vaters. 4. Internationaler Otto Gross Kongress, Graz. Marburg: LiteraturWissenschaft.de, in Vorbereitung).

Sämtliche Vorträge wurden auf Video aufgenommen durch Peter Waltersdorfer, Graz, der auch in allerfreundlichster und souveräner Weise für einen reibungslosen Ablauf des Kongresses sorgte. Die Filme werden sowohl im Archiv des Stadtmuseums, Graz, und im Otto Gross Archiv, London, aufbewahrt und sind jeweils dort InteressentInnen zugänglich.

Auf der Mitgliederversammlung der Internationalen Otto Gross Gesellschaft wurde beschlossen, den 5. Internationalen Otto Gross Kongress im Herbst des Jahres 2005 in Zürich abzuhalten. Informationen dazu werden auf der Webseite der Gesellschaft veröffentlicht oder sind direkt von Gottfried Heuer (E-Mail: ) erhältlich

Der Kongress wurde auf verschiedenen Websites angekündigt, unter anderen auf der der Internationalen Otto Gross Gesellschaft, des Grazer Stadtmuseums (www.stadtmuseum-graz.at/gdv), des Werkblatt (home.subnet.at/werkblatt/WB-L.htm; diese Website enthält auf den Seiten 10 ­ 11 auch Gottfried Heuers Antwort auf Caroline Neubaurs böswilligen Artikel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung über den 3. Internationalen Otto Gross Kongresses in München aus dem Jahre 2002, die die FAZ nicht veröffentlicht hatte), Der Standard (derstandard.at/standard.asp?id=1330054), der Literaturkritikseite des Verlags LiteraturWissenschaft.de, Marburg (www.literaturkritik.de/redaktion/ankuendigungen.html), sowie in den verschiedenen Programmen von Graz 2003: Kulturhauptstadt Europas, der Agenda in Süddeutsche Zeitung (Nr. 244, 23. Okt. 2003, S. 16; Ich danke Antje Peters-Hirt, Lübeck, für diesen Hinweis!) , der Zeitschrift für Körpertherapie (Wien, Jg. 10, Heft 35, S. 21) und in der Wiener Zeitung (Nr. 205, 24./25. Oktober 2003, Extra, S. 8) anläßlich des Wiederabdrucks von Sandra Löhrs Artikel über Sophie Templer-Kuh. In der Internetausgabe der Neue Zürcher Zeitung vom 29. Oktober 2003 schrieb Paul Jandl einen Bericht über den Kongress und die Ausstellung unter dem Titel "Geben Sie acht, er beisst! Graz erinnert an den Anarchisten Otto Gross" (www.nzz.ch/2003/10/29/fe/page-article96UKD.html).


Margarethe Faas Hardegger: neue Biographie

30. November 2003 - Die Schweizer Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Ina Boesch hat eine Biographie von Margarethe Hardegger (1882-1963) vorgelegt. In der Verlagsankündigung heißt es:

"Margarethe Hardegger verkörperte die sozialen und politischen Ideale, die man heute links nennt. Sie lebte den Sozialismus hier und jetzt. Sie predigte und praktizierte die freie Liebe. Sie stand mit der Münchner Boheme und Berliner Anarchistenszene in Kontakt. Sie engagierte sich gegen den Faschismus und kämpfte für den Frieden. Sie lebte viele Jahrzehnte im Tessin im Schatten des Monte Verità und war international vernetzt. Sie hielt zu ihren Freunden und sass deswegen im Gefängnis. Zudem war sie die erste Arbeiterinnensekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Geliebte der anarchistischen Schriftsteller Gustav Landauer und Erich Mühsam. Freundin des Arbeiterarztes Fritz Brupbacher sowie der Chemikerin und Pazifistin Gertrud Woker. In Margarethe Hardeggers »Gegenleben« treffen verschiedene Lebensentwürfe ihrer Zeit aufeinander: In ihr kristallisieren sich sozialistische, lebensreformerische und friedenspolitische Konzepte der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Augenmerk gilt darum ihrer Biografie und eben diesen Entwürfen, ihrer Lebensgeschichte sowie den Organisationen, in denen sie aktiv war."

Ina Boesch: Gegenleben. Die Sozialistin Margarethe Hardegger und ihre politischen Bühnen. 2003. 436 S., Br., CHF 48/EUR 32; ISBN 3-0340-0639-X, Chronos Verlag

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Die Gesetze des Vaters. Der 4. Internationale Otto Gross Kongress in Graz, 24. - 26. Oktober 2003. Ein Kurzbericht

Von Albrecht Götz von Olenhusen, Freiburg i.Br.

5. November 2003 - Der 4. Internationale Otto Gross Kongress fand in diesem Jahr in Graz statt. Tagungsstätten waren das Robert Stolz-Museum und die Karl Franzens-Universität. Diese Tagungsorte boten sich an, weil das Stadtmuseum Graz unter der Leitung des Direktors, Dr. Gerhard M. Dienes, und Dr. Ralf Rother (Wien), zugleich eine groß angelegte Ausstellung zu Hans und Otto Gross, Sigmund Freud und Franz Kafka präsentierte. Der Besuch dieser Ausstellung, ein Vortrag von Dr. Dienes, sowie Besuche der "Ausstellungen in der Ausstellung" - über "mißratene Töchter" der 20er und 30er Jahre, der von Wolfgang Buchner zu den frühen Grazer Arbeiten von Otto Gross, wie auch ein Besuch im Hans Gross'schen Kriminalmuseum an seiner neuen Stätte in der Universität (die zugleich die frühere ist), bildeten die Höhepunkte des Programms. Der Besuch des Kriminalmuseums wurde durch einen Vortrag des Grazer Rechtshistorikers und Dekans, Prof. Dr. Gernot Kocher, aufs interessanteste bereichert. Prof. Peter Beckers' (Florenz) kriminologie-historischer Vortrag über Hans Gross und die Kriminologie und Kriminalistik der Jahrhundertwende stellte Hans Gross in seinen Ambivalenzen zwischen Tradition und Neubeginn sehr anschaulich und eindrücklich dar.

Auf Anregung von Gerhard Dienes hatte das Grazer Werkraumtheater ein eigenes Stück, "Tod eines Anarchisten. Der Fall Otto Gross" entwickelt. Die Teilnehmer des Kongresses hatten die Möglichkeit, ein interessantes Experiment einer dramatischen Auseinandersetzung mit diesem schwierigen und umfangreichen Stoff zu sehen. Dabei bewiesen die vier Schauspieler grosse künstlerische Wandlungsfähigkeit, weil sie sämtliche der zahlreichen Rollen - in bewundernswerter Weise - spielten.

Zuvor hatte Dr. Emanuel Hurwitz, Begründer der Otto-Gross-Forschung, vor dem zahlreich erschienenen und sehr interessierten Publikum den Eröffnungsvortrag zu "Hans und Otto Gross - Väter und Söhne" gehalten, zugleich auch eine persönlich-biografische Geschichte der Entstehung seiner nach wie vor unübertroffenen Biografie von Otto Gross (1979) war.

Sämtliche Vorträge des Kongresse werden wie bisher als Kongressband 2004 im Verlag LiteraturWissenschaft.de (Marburg) publiziert werden.

Anläßlich des Kongresses ist ein Begleitbuch zur Ausstellung, herausgegeben von G. Dienes und R. Rother (Wien: Böhlau 2003) zu Hans und Otto Gross, Sigmund Freund und Franz Kafka erschienen, "vier Personen, die durch Begegnungen und in ihren Auseinandersetzungen mit Gesetz und Strafe, dem Patriarchat und dem Staat, dem Eigenen und dem Fremden in Beziehung traten." Es enthält Beiträge von G. Dienes, R. Rother, G. Heuer, G. Kocher, C. Grafl, Janko Ferk, H. Samer, G. Agamben, A. Götz v. Olenhusen, R. Faber, E. Züchner, M. Green, L. A. Rickels, M. Turnheim, C. C. Härle und G. Palmer. Zum Kongress erschien außerdem die CD-ROM "Hans Gross gegen Otto Gross" (Freiburg: Götz v. Olenhusen). Sie enthält Beiträge von Sam Whimster, Gottfried Heuer und dem Herausgeber, eine Bibliografie der veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften von Otto Gross (G. Heuer), die gegenüber 1999 erheblich erweiterte Sekundärliteratur-Bibliographie von Raimund Dehmlow und Gottfried Heuer zu Otto Gross (mittlerweile mit rund 16oo Titeln), sowie zwei Erstveröffentlichungen von Oto Gross (hrsg. von G. Heuer), ferner die Transkription von Prozessdokumenten Hans Gross / Otto Gross 1913/1914 und die Transkription der Gutachten über Otto Gross aus seiner Militärzeit 1915-1917.

Die Vorträge der interdisziplinären Tagung umfaßten Beiträge aus den Bereichen Philosophie, Germanistik, Psychologie, Psychoanalyse und ihrer Geschichte, Rechtsgeschichte und Soziologie. Zwei Beiträge (Wolf, Heuer) befaßten sich mit dem Anarchisten Otto Gross. Eine ausführlichere Würdigung der Forschungsbeiträge soll noch gesondert erfolgen. Hier mag gesondert erwähnt werden, daß Esther Bertschinger-Joos (Zürich) die Biografie von Frieda Gross anhand von Briefen aus den Jahren 1882-1906 darbot. Bernd Nitzschke's Beitrag zum "magischen Dreieck" Otto Gross, C. G. Jung und Sabina Spielrein lieferte eine neue Sicht, gerade auch der Beziehung Spielrein - Jung, die sich von den Perspektiven der bisherigen Forschung plausibel abgrenzt. Mit Turner (zu D. H. Lawrence), White (zu Frieda Weekly, Otto Gross im Kontext von Taos) und Jennifer Michaels (zu Werfel) wurden den Zuhörern wichtige und neue Bereiche eingehend erschlossen. Das problematische Verhältnis von Freud, Bleuler und C. G. Jung beleuchtete Ernst Falzeder, Sam Whimster die ethischen Differenzen zwischen Max Weber und Otto Gross. Mein eigener Beitrag behandelte die unterschiedlichen Versionen von" Wahnsinn" im 1. Weltkrieg am Beispiel von Franz Jung und Otto Gross.

Die Ausstellung im Grazer Stadtmuseum in Graz wird noch bis Anfang Februar 2004 zu sehen sein. Sie ist in der Presse schon sehr positiv gewürdigt worden. Anläßlich des Kongresses erschien in der Wiener Zeitung vom 24. Oktober ein Portrait der Gross-Tochter Sophie Templer-Kuh (auch schon in taz und WOZ), die am Kongress wie immer lebhaften Anteil nahm. Auch konnten wir als Teilnehmer den Neffen und Grossneffen von Ernst Frick aus der Schweiz begrüßen. Das lokale, regionale und das überregionale Interesse an Ausstellungen und Kongress war - da Graz Kulturhauptstadt Europas ist -, trotz der Fülle anderer von kultureller Angebote in Graz, sehr gut. Die Internationale Otto Gross Gesellschaft hat auf ihrer Mitgliederversammlung beschlossen, den nächsten Kongress 2005 in Zürich abzuhalten.


Züricher Historikerin macht Forschungsarbeit über Margarethe Faas-Hardegger im Internet zugänglich

15. September 2003 - Die Züricher Historikerin, Journalistin und Ausstellungsmacherin Regula Bochsler hat Teile ihrer umfangreichen Forschungsarbeit über Margarethe (Faas-)Hardegger (1882-1963) jetzt im Internet zugänglich gemacht.

Hardegger war - wie Regula Bochsler auf ihrer Internetseite schreibt, "eine außergewöhnlich mutige Frau. Sie träumte nicht nur von einer gerechteren Welt, sondern kämpfte auch dafür. Rückschläge und sogar Gefängnisstrafen konnten sie nicht von ihrem Weg abbringen. Sie war die erste Arbeitersekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Ihre politischen Kontakte spannten sich über halb Europa. Die Themen, die sie und ihre Freunde beschäftigten, waren neu, radikal und sind noch heute aktuell: Frauenbefreiung, soziale Gerechtigkeit, Abtreibung und Gleichstellung der Homosexuellen." Hardegger, die aktiv für die Zeitschrift "Sozialist" in der Schweiz arbeitete, hatte zeitweise große Sympathien für die Ideen von Otto Gross und lieferte sich deshalb eine heftige Kontroverse mit Gustav Landauer, in dem sie zunächst einen Seelenverwandten gefunden zu haben glaubte. Bochsler, die 2004 im Verlag Pendo eine Hardegger-Biographie mit dem Titel "Ich folgte meinem Stern. Das kämpferische Leben der Margarethe Hardegger" veröffentlicht, hat auf der Internetseite bereits Quellen zur Biografie Hardeggers und ein Verzeichnis der Sekundärliteratur bereitgestellt. Sie erschließt damit einer breiten Öffentlichkeit das Leben einer fast vergessenen Frau und eine Zeit, in der "viele unangepaßte Menschen für Freiräume kämpften, von denen wir heute alle selbstverständlich profitieren". (rd)

Weitere Informationen: www.margarethe-hardegger.ch/autorin.html


Der Schweizer Anarchist, Kunstmaler, Archäologe und Ursprachforscher Ernst Frick im Internet

1. September 2003 - Das Leben und Werk ihres Onkels und Großonkels, des Schweizer Anarchisten, Kunstmalers, Archäologen und Ursprachforschers Ernst Frick (1881-1956) dem Reich der Vergessenheit zu entziehen, haben sich Werner und Wolfgang Frick zur Aufgabe gemacht. Auf einer Website haben sie umfassende Informationen wie eine Biographie von Ernst Frick und zahlreiche, z.T. erstmals gezeigte, Fotographien zusammengestellt. Auch Angaben zur Biographie von Frieda Groß, mit der Frick seit 1911 in Ascona zusammenlebte, der gemeinsamen Kinder Eva Verena Schloffer, Cornelia und Ruth Elisabeth Gross werden veröffentlicht. Frick, von Beruf Metallgießer, redigierte 1905 den "Weckruf"und fand während eines Sanatoriumsaufenthalts in Ascona schnell Anschluß an den Kreis um Erich Mühsam, Johannes Nohl und Otto Gross. 1913 wurde er zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt - ihm wurde die Befreiung eines russischen Staatsangehörigen aus einer Kaserne mittels Sprengstoff und eine vorsätzlich herbeigeführte Straßenbahnentgeleisung zur Last gelegt. Über sein künstlerisches Schaffen und seine wissenschaftliche Arbeit, über die die Internetseite gleichfalls informiert, war bisher wenig bekannt. (rd)

Weitere Informationen: www.ernstfrick.ch/


3. Internationaler Kongress der Otto Gross Gesellschaft fand in München statt

7. März 2002 - Vom 15. - 17. März 2002 fand in München der 3. Otto Gross Kongreß, zu dem die 1999 gegründete Internationale Otto Gross Gesellschaft e.V. einlud. Der Zeitpunkt, zu dem der Kongress stattfand, wurde bewußt gewählt, denn am 17. März jährte sich der Geburtstag des Psychoanalytikers und Revolutionärs Otto Gross zum 125. Male. Zugleich folgte die Internationale Otto Gross Gesellschaft e.V. bei der Wahl des Kongreßortes nach Berlin (1999) und Zürich (2000) dem Lebensweg Gross' im umgekehrten Sinne: Gross starb unter tragischen Umständen 1920 in Berlin, hielt sich 1907 in Zürich auf, um sich dort einer Entziehungskur zu unterziehen - und wurde durch die Diagnose "Dementia praecox" seines Behandlers C. G. Jung als Wissenschaftler diskreditiert. (rd)


Press release: A wrong diagnosis and its consequences:
2nd International Otto Gross Congress was held at the Burghoelzli

4. November 2000 - From October 27 to 29 the 2nd International Otto Gross Congress took place by invitation of the International Otto Gross Society at the Psychiatric University Clinic of Zurich, the "Burghoelzli". The motto for the congress was "Otto Gross, psychiatry, psychoanalysis, and literature".

Numerous speakers from various European countries, the USA, and Japan presented and discussed their research concerning the influence of the Austrian medical doctor and psychoanalyst (1877-1920) on psychiatry, psychoanalysis, and literature. In 1908, Otto Gross had been in treatment at the Burghoelzli from where he fled later by his spectacular jump over the clinic wall. The diagnosis of "dementia praecox" made at the time by the assistant medical director Carl Gustav Jung furnished the foundation for the legal imposition of a guardianship for the reason of mental insanity. For the rest of his life Otto Gross fought a relentless battle for the disaffirmation of this judgment. As Emanuel Hurwitz sees it, the Gross biographer and Zurich psychoanalyst who has himself held the position of assistant medical director at the Burghoelzli, Jung made a wrong diagnosis: from today's perspective Gross suffered from a neurosis and the effects of a prolonged excessive use of drugs. Eugen Bleuler, medical director of the Burghoelzli in 1908, supported the diagnoses made by his assistant director Jung ? as becomes apparent from documents of the time. However, he refrained from making a medical statement of his own. Prof. Dr. med. Daniel Hell, the current head of the clinic, and Robert Neukomm who as a member of the City Council of Zurich represented the city and the Kanton of Zurich, by their mere presence and by the words of their greeting addresses supported the endeavors towards a - though belated - rehabilitation of Otto Gross.

The congress also for the first time brought together the early Gross biographers, the American historian of literature Martin Green, the Berlin sociologist Nicolaus Sombart, and the Swiss Emanuel Hurwitz, who independently of each other started a "Gross Renaissance" by their intelligent books on the subject in the 70's. The Gross daughter Sophie Templer-Kuh, honorary president of the inviting Society, and two nieces of the Gross daughter Camilla Ullmann, who died last May in Munich, attended the congress as well.

Several publications on Gross have appeared on the occasion of the congress:

- 1. Internationaler Otto Gross Kongress Bauhaus-Archiv, Berlin 1999, ed. by Raimund Dehmlow and Gottfried Heuer, Marburg/Lahn, Hannover: Verlag LiteraturWissenschaft.de, Laurentius Verl. 2000
- Gross, Otto: Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe, Hamburg: Edition Nautilus 2000
- Otto Gross: Werke. Die Grazer Jahre, ed. by Lois Madison, Hamilton, N.Y.: Mindpiece 2000.

For 2002 the next congress is planned to take place in Munich, and another one is projected for 2003 in Graz, Gross' home city.


Camilla Ullman 1908-2000. Nachruf

Camilla Ullmann

Camilla Ullmann, 1997
(Photo: Gottfried Heuer)

29. Mai 2000 - Am 28. Mai dieses Jahres ist Camilla Ullmann nach kurzer Krankheit in Hamburg gestorben. Sie war die Tochter von Otto Gross und der schweizer Schriftstellerin Regina Ullmann (1884 - 1961). Camilla Ullmann wurde am 18. Juli 1908 in München geboren. Sie arbeitete als Kindererzieherin und Krankenschwester und lebte seit den 30er Jahren zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Maria Becker in Norddeutschland. Sie wurde in Feldkirchen bei München begraben, wo sie bei Pfleegeltern aufgewachsen war.

Der folgende Text ist ein Auszug aus einem Interview, das Gottfried Heuer mit ihr im Sommer 1997 führte.

Camilla Ullmann wurde kurz nach ihrer Geburt zu Pflegeeltern gegeben. Ihr Pflegevater war Tischler. Sie erinnert sich: "Wir haben in den Ferien Versteck gespielt in den Särgen ..." Else Jaffé hatte versucht, Camilla in ihre eigene Familie zu integrieren. "Das sind wir Otto Gross schuldig!" hat Frau Ullmann sie immer wieder sagen hören, und sie erzählt: "Man hat gedacht, nicht, dieses Kind von Otto Gross darf nicht verlorengehen!" (lacht). "Nicht, so ungefähr hat man sich's vorgestellt." Aber die Welt, in der sie aufgewachsen war, war eine andere als die von Else Jaffé. "Vielleicht hat man gehofft, da könnt' noch was draus werden, nicht wahr? ... Die Welten haben sich nicht ganz vertragen ... Ich war bei einfachen Pflegeeltern ... Das bäuerische Element ist auch noch'n bißchen dazugekommen und hat die ganze Sache in eine andere Richtung getrieben." Sie blieb bei ihren Pflegeeltern, bis sie vier Jahre alt war, dann kam sie in ein katholisches Internat. "Das ist dann ein absolut katholischer Blickpunkt gewesen." Camilla Ullmann besuchte die Familie Jaffé oft während der Schulferien. Alle vier Wochen durften die Schülerinnen Besuch bekommen. Manchmal kam ihre Mutter. "Da hab ich immer sehr drunter gelitten, meine Mutter hatte immer soÌn Ausschnitt, der für das Kloster nicht paßte. Und ich dachte: 'Kann sie nicht Kleider tragen wie normale Leute?!'"

Nachdem sie einige Zeit eine Hauhaltsschule besucht hatte, wurde Camilla Ullmann bevor sie zwanzig war für ein paar Jahre nach England geschickt, um die Sprache zu lernen. Sie wohnte in Brighton "bei einer Dame, die Quäkerin war, oder jedenfalls, ich meine, sie war vielleicht keine absolute Quäkerin, aber im Geiste der Quäker". Sie bestand eine Prüfung in Manchester und bestand dann ihr Abitur in London machen. Sie arbeitete etwas als Krankenpflegerin flegerin in England und ging dann als Kindermädchen zurück nach Deutschland, wo sie bei Familien in Berlin und Hamburg wohnte. In Hamburg begann sie dann eine reguläreAusbildung als Krankenschwester. In den 30er Jahren traf sie dort an der Schwesternschule Maria Becker. Sie wurden Freundinnen und zogen zusammen. "Da ich nicht stubenrein war für die Nazis, konnte ich mein Krankenpflege-Examen nicht machen ... Meine Mutter war nicht 'arisch'". Camilla Ullmann ging nach München, um dort an Krankenhäusern zu arbeiten, während Maria Becker in Norddeutschland blieb. Erst nach dem Krieg konnte Camilla Ullmann ihr Examen machen. Und sie traf Maria Becker wieder und hat seitdem mit ihr in der Nähe von Hamburg zusammengelebt. "Sie hat meine Schwächen mitgetragen und auch mein Gutes mitgetragen. Wenn man schon allein im Leben steht, dann ist Freundschaft sehr sehr toll!"

Frau Ullmann hat ihre Mutter nicht wirklich nach ihrer Beziehung zu Otto Gross fragen. "Da mußte ich meine Mutter schonen ... Meine Mutter konnte und wollte nicht darüber sprechen. Ich hab' das auch respektiert - es blieb mir ja auch nichts anderes übrig." Während der letzten Monate ihres Lebens pflegte Camilla Ullmann ihre Mutter, bis diese 1961 starb.

"Was habe ich von meinem Vater? Es ist da doch eine Wärme, für die ich auch dankbar bin." Über Otto Gross sagt sie: "Der hat dann schlechte Manieren gehabt und die wollten sie dann nicht mittragen, die anderen Psychoanalytiker; oder er hat doch eben in ein Extrem geführt. [Und das war] auch gut, daß das dann nicht gemacht worden ist, denn das war einerseits, glaube ich, sehr tief kreativ, und andererseits sehr destruktiv, wennÌs in die falschen Hände kam ... Der hat sich, glaub ich, selber den Weg abgeschnitten ... Aber mein Vater ist doch, wie ich herausgekriegt habe, ziemlich totgeschwiegen worden von einer gewissen Kategorie von Menschen und Wissenschaftlern." Ich erwähne Freuds Mahnung an Gross: "Wir sind Ärzte und wollen Ärzte bleiben!" Frau Ullmann antwortet: "Da hat Freud seine Grenzen gesehen, glaube ich, seine eigenen Grenzen. Und da hat mein Vater gesehen, daß er da wieder der Schöpferischere ist." Ich beziehe mich auf Freuds Bedenken bezüglich der Grenzen geistigen Eigentums und Frau Ullmann sagt spontan und mit Nachdruck: "Er stiehlt! - Der schöpferische Mensch - Freud hat das so gespürt - einerseits hat ihn das sehr gepackt, ... andererseits hat er auch Angst gehabt. Einerseits berechtigt, und dann hat sich das ja bei meinem Vater so entwickelt, daß er nicht mehr salonfähig war, nicht? Das war die Zeit, wo er mit Morphium und allem möglichen Drum und Dran. Und mein Vater war halt sehr neugierig und hat das dann gleich gründlich gemacht, ... so, wie Freud und Jung das nicht haben wollten. Die waren [sich] irgendwie zu gut dazu ... Aber das ist natürlich ein gefährlicher Weg, und ich glaube, da hat mein Vater nicht die Grenzen gekannt oder halten können danach ... Aber daß Otto Gross manches angelastet wird, das glaube ich schon, und manches ihm gestohlen wird, was er schöpferisch eigentlich herausgebracht hat - wirklich herausgearbeitet hat."

"Er hat viel Unruhe hineingebracht in dieses Jahrhundert und viel Fruchtbarkeit auch, geistige vor allem. Und irgendwo hab' ich noch manchmal auch einen Schimmer davon, wissen Sie, so'n Zipfel - ich merke: du hast mir nicht nur Schweres in mein Leben gelegt, sondern auch etwas sehr Positives, und das Ja-Sagen zum Leben! Eine Wärme muß mein Vater gehabt haben ... Und er hat auch eine Reinheit gehabt ... Manchmal sage ich: 'Mein lieber Vater, das habe ich von dir, daß ich 'Ja' zum Leben sagen kann!'"

Als ich sie frage, ob ich ein Photo von ihr machen könnte, antwortet sie: "Ja - wenn's Ihren Apparat nicht zerreißt! . . . Ich könnt' auch die Zunge 'rausstrecken - das wär schön!"

Maria Becker und Camilla Ullmann

Maria Becker und Camilla Ullmann, 1997
(Photo: Gottfried Heuer)
S. Templer-Kuh und Camilla Ullmann

Sophie Templer-Kuh und Camilla Ullmann, 1999
(Photo: Maria Becker)
 
 

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